Mein schwacher Wille geschehe
Operationen auf den jeweiligen Glücksspielmärkten zunehmend unsichtbar. Die Kasinos sind zu öden Daddelhallen verkommen, und die Pferderennbahnen kämpfen als einstige Festplätze des Sozialen seit langem ums wirtschaftliche |166| Überleben. Die Zeichen des Niedergangs sind an den einstigen Weihestätten gesellschaftlicher Glanzentfaltung kaum zu übersehen. 36 Zwar boomt das Glücksspiel auch ökonomisch, aber das wachsende Geschäft mit Sportwetten wird über schmucklose, büroähnliche Wettlokale oder gleich von zu Hause über den Computer abgewickelt. Gewinne oder Verluste, die einst als Triumph oder schwerer Schlag öffentlich zur Schau getragen oder erlitten wurden, muss der Spieler heute meist mit sich allein ausmachen. Für die sozialen Dramen, zu denen das willensschwache Personal beitrug, sind die dafür angemessenen Orte rar geworden. Es ist vielleicht mehr als nur ein Zufall, dass der Niedergang des glamourösen Spiels zeitlich etwa mit der institutionellen Pathologisierung des Spiels zusammenfiel.
Die Amerikanische Psychiatrische Gesellschaft hat das Glücksspiel 1980 in ihren Diagnoseschlüssel aufgenommen und diesen seither mehrfach modifiziert. Die jüngste Version des »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, DSM IV« definiert pathologisches Glücksspiel als andauerndes und wiederkehrendes fehlangepasstes Spielverhalten, was sich in einer Kombination mehrerer Merkmale ausdrückt, dies können unter anderen sein: starke Eingenommenheit vom Glücksspiel (zum Beispiel intensives Beschäftigtsein mit gedanklichem Nacherleben vergangener Spielerfahrungen), stetige Erhöhung des Einsatzes, um die gewünschte Erregung zu erreichen, Abstinenzunfähigkeit (der Spieler hat wiederholt erfolglose Versuche unternommen, das Spielen zu kontrollieren, einzuschränken oder aufzugeben), Entzugserscheinungen, Verheimlichung und Beschaffungsdelinquenz.
Treffen mehrere dieser Kriterien auf eine Person zu, so gilt diese als spielsüchtig.
Das pathologische Glücksspiel ist hier von besonderer Bedeutung, weil es als nichtstoffliche Sucht unmittelbar Fragen nach Willenskraft, -stärke und -schwäche aufwirft. Während die stoffgebundenen |167| Süchte in ihren biochemischen Wirkungsweisen vergleichsweise gut erforscht sind und mit Therapien und Entgiftungsprogrammen behandelt werden können, geben die nichtstofflichen Abhängigkeiten noch immer Rätsel auf. Warum fügt jemand sich und seinem sozialen Umfeld wider besseren Wissens Schaden zu? Wie entsteht Abhängigkeit jenseits klar nachweisbarer Substanzen und Gifte? Und wie kann es gelingen, sich wieder aus der Schlinge zu befreien? Während die klassische Suchtforschung Theorien über soziale und individualpsychologische Entwicklungen bereithält, verweist die Hirnforschung auf ein hohes Maß an Determination. Erblich veranlagt oder sozial erlernt? Wenn das Laster zur Sucht wird, vermehren sich mit wachsendem Wissen auch die Widersprüche und Fragen.
Der so genannte gesunde Menschenverstand hat lange davor zurückgescheut, krankhaftes Verhalten auch als Krankheit zu definieren. In Bezug auf Sucht und Abhängigkeit hält der
common
sense
am Prinzip einer individuellen Zurechnungsfähigkeit fest, die hinter der Krankheitsdefinition zu verschwinden droht. Krankheit ist Schicksal, es kann jeden treffen. Willensschwäche aber, so die landläufige Vorstellung, ist eine vorübergehende Unpässlichkeit und kann behoben werden, wenn einer nur willens genug oder bereit ist, sich helfen zu lassen. Allerdings ist auch dem gesunden Menschenverstand nicht entgangen, dass in dem unerschöpflichen Reich individueller Selbstentfaltung sich die Möglichkeiten zur Selbstschädigung rasant vermehrt haben.
Der Autor und Glücksforscher Stefan Klein hält die Unterscheidung von stofflichen und nichtstofflichen Abhängigkeiten denn auch eher für beliebig. Viel entscheidender ist für ihn die jüngere Erkenntnis von Hirnforschern, dass im Verlauf einer Abhängigkeit die jeweilige Droge – stofflich oder nichtstofflich – in der Lage ist, das Gehirn umzuprogrammieren. Es erzeugt sich seinen Stoff selbst. »Während sich das Gehirn im ersten Akt der Abhängigkeit noch auf die Wirkstoffe der Droge einstellt, bahnt sich schon der |168| zweite Akt an. In seinem Verlauf verliert der Wunsch nach Genuss an Bedeutung. An seine Stelle tritt ein wildes, unkontrolliertes Verlangen.« 37 Verantwortlich dafür sei, so Klein, der zweite Mechanismus des Belohnungssystems, der uns
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