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Mein schwacher Wille geschehe

Titel: Mein schwacher Wille geschehe
Autoren: Harry Nutt
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Lust und Antrieb zum Handeln vermittelt und den Botenstoff Dopamin erzeugt. »Alle Drogen tricksen das Belohnungssystem aus. Und zwar nicht nur, indem sie dem Gehirn Genüsse vorgaukeln, sondern auch dadurch, dass ihre Wirkstoffe den Dopaminspiegel ansteigen lassen. Erst das macht sie so gefährlich. Was beispielsweise ein Signal dafür sein sollte, bald den Liebsten oder die Liebste zu treffen, entsteht beim Konsum einer Zigarette auf rein chemischem Weg – ein leeres Versprechen auf Glück. Dennoch wird das Gehirn umprogrammiert: Allein durch die Wirkung des Dopamins verbucht es das Rascheln des Zigarettenpapiers, das Zischen des Streichholzes und das Kitzeln des ersten Rauchs in der Nase als Erfahrungen, die es schleunigst zu wiederholen gilt. Sucht ist Lernen auf Abwegen.« Und so ist es letztlich gleichgültig, ob die Dopaminstöße chemisch durch eine Zigarette ausgelöst werden oder vom Geldklimpern in der Automatenhölle. Alles was Freude macht, schreibt Klein, eignet sich als Gegenstand einer Abhängigkeit. Das Gehirn lässt sich auf jeden starken Reiz programmieren. Im Fall des Spielers führt das dazu, dass er Verluste weniger stark empfindet, die Aussicht auf Gewinn ihn hingegen stark erregt.
    Dennoch wird nicht jeder abhängig, der spielt. Die durch die Ergebnisse der jüngeren Glücksspielforschung stark unter Druck geratene Branche versuchte sich zu wehren und investierte in das Image eines zwanglosen Spiels, das auf die Herausforderungen des Alltags mit einem harmlosen Unterhaltungsbedürfnis antwortet. »Den Kaffee brauchen Sie bei uns nicht zu bezahlen«, lautete einst die freimütige Einladung zum geselligen Freizeitvergnügen in die zahlreich in jeder Stadt leicht zugänglichen Automatenspielhallen. An deren Stelle sind heute triste Lokale |169| getreten, die wie Jugendfreizeitheime mit Wettmöglichkeit aussehen.
    Unter den Vielspielern hält sich die Vorstellung eines großen Spiels, das man selbst in der Hand hat. Der Fußballwettskandal um den Schiedsrichter Hoyzer verlief nach einem solchen Muster, das kühne Ganovenstück entpuppte sich am Ende als besonders drastische Form einer aus dem Ruder gelaufenen Spielsucht. Die Motivlage eines Spielers, der die Kontrolle über sein Tun behalten möchte, beschreibt Dieter W.: »Ich kann gar nicht mehr genau sagen, wie alles anfing, es gab nicht den einen glücklichen Gewinn, der das ganze Leben veränderte. Irgendwann aber kam ich über das Spielen zu Geld, das ich vorher nicht hatte. Manchmal, beim Kartenspielen in einer Kneipe, wo das Spielen um Geld geduldet wurde, schien alles ganz einfach, so als könnte man gar nicht verlieren. Anfangs war das wie ein glückliches Geschenk, später konnte es passieren, dass ich eine Gelegenheit zum Spielen suchte, weil ich für irgendetwas Geld brauchte.
    So einfach war das dann aber doch nicht, und natürlich habe ich auch verloren. Gerade dann, wenn ich mir das überhaupt nicht leisten konnte. Manchmal war das Geld für einen ganzen Monat schon am Dritten weg. Klar kennt man immer zwei oder drei Leute, die einem was leihen, aber das funktioniert so nicht ewig. Für mich war es beim Spielen von Anfang an wichtig, unabhängig zu sein. Die Spieler, die schon so aussehen, als könnten sie am Tisch nicht für sich geradestehen, werden von den anderen Spielern meist verachtet. Wir wissen untereinander recht genau, mit wem wir es zu tun haben. Davon leben wir ja.«
    Dieter W. spricht im Ton einer unerschütterlichen Illusionslosigkeit. Er weiß um die Gefahren der Spielsucht, glaubt aber, über entsprechende Abwehrmechanismen zu verfügen. Konzentration, Kontrolle und Abgebrühtheit sollen an die Stelle treten, wo der abhängige Spieler von seinem Belohungssystem überrumpelt wird. Aus der Gewissheit, gerade nicht dem Spieltrieb zu erliegen, |170| bezieht er seine Kraft, die seit jeher mythisch verklärt worden ist. In der bundesrepublikanischen Frühphase des Automatenspiels erzählte ein legendärer Film die Geschichte des »Monarchen«, eines Spielers, der durch Fingerfertigkeit und ein schnelles Auge in der Lage war, die rotierenden Scheiben des Automatentyps Monarch an den entscheidenden Stellen anzuhalten. Der »Monarch« hatte zumindest diesen einen Gerätetyp unter Kontrolle. Als Herr der Maschine nährte er die Illusion, dass man die Apparatur austricksen könne. Was dem legendären »Monarchen« vorübergehend gelungen war, wurde bei der nächsten technischen Geräteentwicklung mittels unerbittlich
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