Mein skandaloeser Viscount
Hoffnungsschimmer auf Glück. Liebe konnte viel erreichen, aber den Tod konnte auch die tiefste Liebe nicht besiegen. Und deshalb wollte und durfte sie sich nicht von Gefühlen besiegen lassen.
„Wie könnte das Schicksal Ihnen etwas über mich zuflüstern?“, entgegnete sie herausfordernd. „Sie wissen doch nichts über mich, abgesehen von unseren gelegentlichen seichten Neckereien.“
„Ich weiß sehr viel über Sie.“
„Sie wissen nichts.“
„Meine Teuerste, ich habe gründliche Erkundigungen über Sie eingeholt. Möglicherweise kenne ich Sie besser als mich selbst.“
„Ach, ist das so?“
„Ja, genau so.“
„Dann sprechen Sie. Wann und wo bin ich geboren?“
Vorsichtig nahm er ihren nassen Zopf und legte ihn ihr auf den Rücken. Seine Berührung ließ ihr Herz schneller schlagen.
„Diese Frage ist mir zu einfach, Victoria.“
„Sie wissen es also nicht.“
„Ich weiß es sehr wohl.“
Sie stieß mit einem Zeigefinger gegen seine nasse Hemdbrust. „Dann antworten Sie.“
Er griff nach ihrer Hand und hob sie lächelnd an seinen Mund.
Weiche warme Lippen strichen über ihre klamme Haut, ein Prickeln durchströmte ihren ganzen Körper. Wonneschauer, die ihr den Atem raubten und ihren Puls beschleunigten.
Er blickte ihr tief in die Augen, streichelte ihre Hand und antwortete geduldig: „Sie und Victor wurden am 9. April des Jahres 1807 im Ostflügel dieses Hauses geboren. Sie kamen zuerst zur Welt, und Victor kurz darauf. Sie waren ein kräftiger, gesunder Säugling, Victor aber war sehr schwach. Die Ärzte hatten keine große Hoffnung, dass er das erste Lebensjahr erreichen würde, aber er schaffte es, und Ihre Eltern waren sehr fürsorglich mit ihm. Später allerdings waren Sie es, die Victor hütete wie Ihren Augapfel und ihn bemutterte.“
Sie entzog ihm ihre Hand. Das war unschicklich und zu vertraulich. „Wer hat Ihnen das alles gesagt?“
„Grayson. Ich zwang ihn, mir alles über Sie zu erzählen. Und ich meine wirklich alles.“
„Alles?“, wiederholte sie.
„Alles.“
„Sie können nicht alles über mich wissen.“
„Oh, doch, ich kann. Stellen Sie mir eine andere Frage.“
„Moment.“ Sie drehte den Ring in ihrer Hand, betrachtete sinnend die gedrechselte Mahagonibrüstung und überlegte sich eine Frage. „Mein Lieblingsautor?“
„Daniel Defoe. Das Leben und die seltsamen Abenteuer des Robinson Crusoe ist Ihr Lieblingsroman. Sie haben zwar Grayson immer wieder darum gebeten, Ihnen ein Exemplar des Romans Glück und Unglück der berühmten Moll Flanders zu besorgen, aber Ihr Cousin hält Sie für zu jung für eine derart frivole Lektüre.“
Victoria bekam große Augen. Na warte, dafür würde Grayson büßen! „Was hat mein Cousin Ihnen sonst noch über mich erzählt?“
„Dinge, die Sie vermutlich abstreiten würden, die ich allerdings ausgesprochen liebenswert finde.“ Er ließ den Blick auf ihrem Mund verweilen. Sein warmer Atem strich über ihre Wange – er duftete schwach nach Nelkenpfeffer, vermischt mit dem Geruch von frischem Regen. „Ich wünsche mir einen Kuss von Ihnen, verzehre mich danach. Denn in diesem Moment sagt mir das Schicksal, dass sich unser beider Leben mit diesem Kuss verändern wird.“
Sie atmete scharf ein. Tief in ihrem Herzen wollte sie diesen romantischen Unsinn glauben. Sie wollte glauben, wenn sie ihn küsste und das annahm, was er ihr anbot, würde ihr Leben sich verändern, und all ihre Zweifel über Menschen, Liebe, Leben und Tod würden sich auflösen oder sich in Rosenblätter verwandeln, die vom Himmel rieselten. Könnte ein Kuss wie ein Zauberstab wieder Sonnenschein und Glück in ihr Leben bringen? Es käme auf einen Versuch an.
„Bewegen Sie sich nicht“, warnte sie ihn.
„Ich bewege mich nicht“, raunte er.
Victoria blickte sich in der dämmrigen Halle um. In der Gewissheit, dass sie ihren Wagemut bereuen würde, stellte sie sich auf die Zehenspitzen, legte eine Hand an Remingtons Nacken, zog sein Gesicht zu sich herab und presste ihre Lippen gegen seinen erstaunlich warmen weichen Mund.
Kraftvolle Arme umfingen sie, und alles um sie herum begann sich zu drehen.
Zaghaft öffneten beide gleichzeitig die Lippen. Nach kurzem Zaudern berührten ihre Zungen einander. Victorias Herz machte einen Sprung. Der Geschmack nach süßem Gewürzkuchen bestätigte, dass Remington tatsächlich in der Küche von Mrs Davidsons Banbury Cakes genascht hatte.
Mit seiner heißen Zunge umspielte er die ihre, als er
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