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Mein skandaloeser Viscount

Mein skandaloeser Viscount

Titel: Mein skandaloeser Viscount Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delilah Marvelle
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kann, dass ich sterbe.“
    Tränen brannten ihr in den Augen, als sie seine Hand zärtlich umfing. Davor hatten die Ärzte sie bereits gewarnt. Im Endstadium seines Siechtums würde der Earl immer häufiger unter Wahnvorstellungen leiden.
    Sie schluckte schwer, verdrängte das Bild der belustigten jadegrünen Augen ihres geliebten Bruders. „Victor ist nicht hier. Er ist … gestorben. Aber ich bin bei dir und verlasse dich nicht. Das verspreche ich dir.“
    „Nein. Nein, nein, nein. Mein Sohn ist nicht gestorben.“ Unwirsch schob der Earl ihre Hände weg und krallte die Finger in die Bettdecke. „Wo ist er? Wieso ist er nicht an meiner Seite? Und wer bist du? Was willst du?“
    Victoria unterdrückte ein Schluchzen und schüttelte den Kopf. „Ich bin deine Tochter. Papa, ich bin es. Victoria. Du erkennst mich doch?“
    Er musterte sie matt, das Atmen schien ihm Mühe zu bereiten. „Nein. Geh weg!“, krächzte er kopfschüttelnd.
    Ihre Tränen quollen über und liefen ihr über das Gesicht. Sie barg ihre Wange an seiner Brust. „Schick mich nicht weg“, flehte sie. „Bitte.“ Sie kniff die Augen zusammen und wünschte sich sehnlichst die Zeit zurück, in der sie, Mama, Victor und Papa eine glückliche Familie gewesen waren.
    Mit zitternden Fingern betastete er ihr hochgestecktes Haar. „Victor hat dein Haar“, murmelte er sinnend. „Flachsblond. Sehr merkwürdig. Wieso hast du sein Haar?“
    „Victor und ich waren Zwillinge“, flüsterte sie. „Du erinnerst dich doch an mich, Papa. Ich bin deine Victoria.“
    Er wiegte den Kopf im Kissen hin und her. „Nein. Nein, dein Haar ist zu lang. Du bist nicht Victor. Sag ihm, ich will niemand sehen, nur ihn. Sag es ihm. Geh jetzt. Mach dich nützlich und finde ihn.“ Harsch stieß er sie von sich.
    Victoria schluchzte trocken auf, stand auf und strich die Bettdecke glatt. Wenn ihr geliebter Vater starb, blieb ihr nichts mehr im Leben, mit ihm würde auch ihre Seele und ihr Herz sterben. Doch die Ärzte hatten ihr versichert, er habe mindestens noch sechs bis acht Monate zu leben.
    Der goldene Rubinring an ihrem Finger funkelte im Kerzenschein. Sie hob ihn an die Lippen und flüsterte dem Edelstein die Worte zu, die sie ihm seit Wochen immer wieder zuflüsterte: „Heile ihn. Bitte. Diese Qualen hat er nicht verdient. Bitte heile ihn.“
    Längst hatte sie den Glauben daran verloren, der Ring könne Wünsche erfüllen, aber woran sollte sie sich denn jetzt noch festhalten? Ihr blieb nichts. Absolut nichts.
    Im stillen Zimmer waren nur die schweren Atemzüge ihres Vaters zu hören. Flint sprang wieder auf den Polstersessel, drehte sich ein paar Mal im Kreis, bevor er es sich auf dem Kissen bequem machte und seinen struppigen Kopf auf die Vorderpfoten bettete. Er richtete den traurigen Blick seiner runden dunklen Augen auf seine Herrin und schnaufte tief, als fühlte er mit ihr.
    Auch Flint spürte offenbar, dass die Tage ihres Vaters gezählt waren.
    „So ist das Leben“, sagte sie leise, beugte sich über ihn und kraulte ihn zärtlich hinter den Ohren. „Wir leben, um zu lieben. Wir leiden, weil wir lieben, und wir leiden noch mehr, weil wir glauben wollen, dass es mehr gibt im Leben außer Leiden … und dann sterben wir.“
    Flint brummte leise, schloss die Augen und überließ sich seinem wohlverdienten Schlaf.
    Victoria hatte sich vorgenommen, bei dem Kranken zu wachen, doch als ihr die Lider immer schwerer wurden, streckte sie sich auf dem breiten Bett neben ihrem Vater aus, darum bemüht, ihn nicht zu berühren, um ihn nicht zu wecken. Kaum hatte sie sich hingelegt, übermannte sie der Schlaf.
    Als ihr die Morgensonne ins Gesicht stach, meinte sie, nur kurz eingenickt zu sein. Das Zimmermädchen hatte vergessen, nachts die Vorhänge vorzuziehen.
    Victoria gähnte benommen, kroch vorsichtig aus dem Bett und beobachtete ihren schlafenden Vater. Staubflusen tanzten in einem hellen Strahlenbündel, das sein bandagiertes Gesicht beleuchtete. Sein Mund war leicht geöffnet, die Lider geschlossen, sein Brustkorb hob und senkte sich unter seinen regelmäßigen Atemzügen.
    Könnte sie ihm nur ebensolchen Frieden in seinem Wachsein verschaffen! Barmherziger Himmel, er wusste nicht einmal mehr, wer sie war.
    Mit bebenden Fingern strich Victoria sich eine blonde Locke hinter das Ohr, die sich aus ihrem hochgesteckten Haar gelöst hatte. Allem Anschein nach war der Zeitpunkt gekommen, um sich dem letzten Wunsch ihres Vaters zu beugen. Sie, Lady Victoria Jane

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