Mein Sommer nebenan (German Edition)
stecken.
»Arme Kleine«, murmelt Jase an ihrem Hals.
Bald darauf kommt Alice nach Hause, bringt Pizza und weitere in Medizinerjargon verpackte Neuigkeiten mit, die keine sind. »Sie mussten den Schädel trepanieren, um den intrakraniellen Druck zu mindern«, berichtet sie Jase. »Eine Hirnschwellung nach einer Kopfverletzung ist immer besorgniserregend, und wie es aussieht, ist er nach dem Zusammenprall sehr hart mit dem Kopf aufgeschlagen. Aber in der Regel tragen die Patienten keine Langzeitschäden davon, solange kein zusätzliches Schädeltrauma entstanden ist, für das es bis jetzt noch keine Anzeichen gibt.«
Jase schüttelt den Kopf, kaut auf seiner Unterlippe und dreht sich weg, als die kleineren Kinder, angelockt vom Pizzaduft und dem Klang der Stimmen ihrer älteren Geschwister, die diesem Albtraum vielleicht irgendeinen Sinn geben können, in die Küche gestürmt kommen.
»Ich bin heute Nachmittag mit dem Rad zur Uferstraße gefahren«, erzählt Duff. »Um nach irgendwelchen Hinweisen zu suchen. Aber da war nichts.«
»Das hier ist keine Folge von CSI , Duff.« Alice Stimme ist schärfer als das Rollmesser, mit dem sie die Pizza in Dreiecke schneidet.
»Ist doch trotzdem seltsam. Irgendjemand hat Dad angefahren und ist danach einfach abgehauen. Ich dachte, dass ich vielleicht Bremsspuren finde, sodass wir die Reifenmarke identifizieren können. Oder Scherben von einem zerbrochenen Scheinwerfer oder so. Dann könnten wir sie einem bestimmten Wagentyp zuordnen und …«
»Das bringt rein gar nichts«, fällt Alice ihm ins Wort. »Wer auch immer Dad angefahren hat, ist längst über alle Berge.«
»Wahrscheinlich. Die meisten Leute, die Fahrerflucht begehen, werden nie gefunden«, räumt Duff ein. »Das habe ich auch im Internet gelesen.«
Ich schließe die Augen und schäme mich dafür, dass mich Erleichterung durchströmt.
Jase geht hin und her, ballt die Hände zu Fäusten und entspannt sie wieder. »Großer Gott. Wie kann jemand so etwas tun? Was muss das für ein Mensch sein? Jemanden anfahren – einen anderen Menschen mit seinem Wagen über den Haufen fahren! – und dann einfach abhauen und so tun, als wäre nichts passiert?«
Mir ist schlecht. »Vielleicht hat derjenige gar nicht gemerkt, dass er jemanden angefahren hat?«
»Unsinn.« Seine Stimme klingt so hart, dass ich zusammenzucke. »Man spürt ganz genau, ob man über einen Stein gefahren ist, über ein altes Stück Reifen, über eine Burger-Schachtel oder ein totes Eichhörnchen. Es ist schlicht unmöglich, einen fünfundachtzig Kilo schweren Mann anzufahren und es nicht mitzukriegen.«
»Vielleicht war derjenige, der ihn angefahren hat, jemand mit dem er sich dort getroffen hat«, denkt Duff laut nach. »Vielleicht war Dad in irgendeine total geheime Sache verwickelt und …«
»Duff. Wir sind hier auch nicht bei Spy Kids . Das ist das echte Leben. Unser Leben.« Alice knallt einen Pappteller mit einem Stück Pizza vor ihren jüngeren Bruder.
Duff wird rot, seine Augen füllen sich mit Tränen. Er schluckt und schaut auf sein Essen hinunter. »Ich will doch bloß helfen.«
Jase stellt sich hinter ihn und legt ihm die Hände auf die Schultern. »Schon gut, Duffy. Wir wissen, dass du bloß helfen willst.«
Die Kleinen stürzen sich heißhungrig auf die Pizza. Irgendwie ist es fast tröstlich, dass sie trotz allem ihren Appetit noch nicht verloren haben.
»Vielleicht ist Dad in der Mafia«, fängt Duff nach einer Weile, als die Tränen versiegt sind, wieder an. »Vielleicht hatte er vor, alle auffliegen zu lassen und …«
»Sei verdammt noch mal endlich still, Duff! Daddy ist nicht in der Mafia! Er ist noch nicht mal Italiener!«, schreit Andy ihn an.
»Es gibt auch eine chinesische Mafia und eine …«
»Hör auf! Du willst uns doch bloß auf die Nerven gehen mit deinem dämlichen Gequatsche.« Diesmal bricht Andy in Tränen aus.
»Hey, Leute …«, versucht Jase zu beschwichtigen.
»Ruhe jetzt«, sagt Alice so gefährlich leise, dass alle erstarren.
George legt den Kopf auf den Tisch und hält sich die Ohren zu. Patsy zeigt anklagend mit dem Finger auf Alice und fängt an zu schreien. Duff streckt Andy die Zunge raus, worauf die ihn wütend anfunkelt. Meine geliebten Garretts sind völlig durch den Wind.
Es entsteht ein langes Schweigen, das nur von Georges Schniefen unterbrochen wird.
»Ich will meinen Daddy«, weint er. »Geh weg, Alice. Du bist gemein. Ich will meine Mommy und meinen Daddy. Wir müssen Daddy aus
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