Mein Sommer nebenan (German Edition)
bereits alles besprochen, Darling. Wie viel Wein hast du an dem Abend getrunken?«
»Vielleicht insgesamt drei oder vier Gläser?« Sie klingt erschöpft. »Keine Ahnung, ich habe an jedem Glas ja nur ein paarmal genippt.«
»Schon mit zwei Gläsern hättest du mehr Promille gehabt, als erlaubt sind, Grace. Das wäre das Ende deiner Karriere, verstehst du? Niemand weiß von der Sache. Was passiert ist, ist passiert. Wir müssen weitermachen wie bisher, sonst ist alles aus.«
»Clay, ich …«
»Vergiss nicht, was alles auf dem Spiel steht. Du kannst mehr Gutes für weitaus mehr Menschen tun, wenn du wiedergewählt wirst, als wenn du dich aus schlechtem Gewissen jetzt selbst an den Pranger stellst und der Allgemeinheit in Zukunft gar nichts mehr nützt. Versuche, das große Ganze zu sehen. Außerdem hat jeder, der im öffentlichen Leben steht, sich schon mal einen Fehltritt geleistet. Und du hast mehr Glück gehabt als die meisten – deiner ist nicht publik geworden.«
Moms Handy klingelt. »Das ist Malcolm aus dem Büro«, sagt sie nervös. »Da sollte ich besser drangehen.«
»Hör auf deine innere Stimme, Darling«, redet Clay noch einmal eindringlich auf sie ein. »Da draußen sind eine Menge Menschen, die an dich glauben. Die dich brauchen. Denk an die Verantwortung, die du ihnen gegenüber hast.«
Als ich höre, wie Moms Schritte sich Richtung Arbeitszimmer entfernen, drehe ich mich um und will die Treppe wieder hochschleichen.
»Samantha?«
Ich erstarre. Woher weiß Clay, dass ich … ? Er kann mich nicht gehört haben, die Stufen sind mit Teppich ausgelegt und ich war ganz leise.
»Ich habe dich im Dielenspiegel gesehen.«
»Ich … ich wollte nur … ich hatte nur Durst und …«
»Da hast du alles mitangehört.«
»Nein, ich …« Ich verstumme.
Er kommt zur Treppe und lehnt sich lässig ans Geländer. Er wirkt so ruhig, dass es fast schon unheimlich ist.
»Dass ich hier bin, ist kein Zufall«, sagt er leise. Er hat das Küchenlicht im Rücken, sodass sein Gesicht im Schatten liegt. »Mir ist von deiner Mutter berichtet worden. Ich habe sie beobachtet. Deine Mom … sie ist wirklich gut , Samantha. Die Partei hat großes Interesse an ihr. Grace hat alles, was man für den Job braucht. Aussehen, Stil, die richtigen Inhalte … Sie könnte ohne Probleme ganz weit oben mitspielen. Da, wo die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen werden.«
»Sie … Sie hat ihn angefahren, oder?« Es ist das erste Mal, dass ich es laut ausspreche. Clay dreht mir den Kopf so zu, dass ich sein Gesicht sehe. Er wirkt weder überrascht noch schuldbewusst, wie ich es mir vielleicht insgeheim gewünscht habe. Sein Blick ist aufmerksam und konzentriert, höchstens ein bisschen ernster als sonst.
»Es war ein Unfall. Niemand kann etwas dafür.«
»Ob Mom etwas dafür konnte oder nicht, ändert nichts daran, dass Mr Garrett verletzt ist. Schwer verletzt. Er und seine Frau sind nicht krankenversichert und haben große finanzielle Probleme und …«
»Das ist bedauerlich«, unterbricht Clay mich. »Wirklich sehr bedauerlich. Es trifft immer die Falschen. Das Leben ist nicht gerecht. Aber es gibt Menschen, die etwas bewegen können, Menschen, die einen wichtigen Auftrag haben. Deine Mutter ist so ein Mensch. Ich weiß, dass du mit den Garretts befreundet bist. Aber wie ich eben schon zu deiner Mutter gesagt habe, Samantha – man muss das große Ganze im Auge behalten.«
Ich sehe vor meinem geistigen Auge Mr Garrett vor mir, wie er Jase beim Training anfeuert, wie er in der Küche hinter seine Frau tritt und sie auf die Schulter küsst, wie er mir zur Begrüßung durch die Haare zaust und mir immer das Gefühl gibt, willkommen zu sein, wie großartig er mit Tim umgeht, wie er den schlafenden George ins Bett trägt, ich sehe sein Gesicht vor mir, wie es im bunten Schein des Feuerwerks aufleuchtet – wie viel Ruhe und Kompetenz es immer ausstrahlt –, sehe, wie er über den Abrechnungen im Büro sitzt, die Mine seines Kugelschreibers raus- und reindrückt und sich die Augen reibt. »Leute wie die Garretts sind das große Ganze.«
»Wenn man siebzehn ist und die Hormone verrückt spielen vielleicht.« Er lacht leise. »Da hat man noch Scheuklappen auf und kann nicht über den eigenen Tellerrand schauen.«
»Darum geht es nicht«, sage ich. »Mom hat etwas Schlimmes getan. Du weißt es. Ich weiß es. Etwas, das einem anderen Menschen schweren Schaden zugefügt hat und …«
Clay setzt sich auf eine Stufe, lehnt
Weitere Kostenlose Bücher