Mein Sommer nebenan (German Edition)
Garretts?«
Wie kann er mir diese Frage stellen und dabei so ruhig bleiben? »Nicht gut«, sage ich.
»Tja. Müssen harte Zeiten für sie sein.« Clay greift nach seinem Weinglas und nimmt einen Schluck. »Ein Einmannunternehmen zu führen bedeutet immer ein gewisses Risiko. Wenn dann auch noch so etwas passiert …«
»Warum tust du überhaupt so, als hättest du Mitgefühl mit ihnen?«, frage ich. Meine Stimme klingt in dem stillen Raum unerwartet laut. Mom zuckt im Schlaf und kuschelt den Kopf tiefer ins Kissen. »Als wäre das, was passiert ist, nichts weiter als ein Schicksalsschlag, mit dem du nicht das Geringste zu tun hast. Als wüsstest du, was sie durchmachen.«
»Du weißt nicht besonders viel über mich, stimmt’s?« Er nimmt noch einen Schluck Wein und streichelt Cory über den Kopf. »Und im Gegensatz zu mir hast du keine Ahnung, was es bedeutet, arm zu sein. Mein Dad hatte eine Tankstelle. Ich habe mich um die Buchhaltung gekümmert. Aber unser Städtchen war so klein, dass es sich kaum lohnte, in den Wagen zu steigen, um von einem Ende zum anderen zu kommen. Und die Leute in West Virginia sind für ihre Sparsamkeit bekannt. Oft verdiente Dad monatelang nicht genug, um seinen Angestellten und sich selbst ein Gehalt zu zahlen. Ich weiß nur allzu gut, wie es ist, pleite zu sein und mit dem Rücken zur Wand zu stehen.«
Plötzlich beugt er sich im Sessel vor und sieht mich eindringlich an. »Das alles habe ich hinter mir gelassen, Samantha. Weit hinter mir gelassen. Wenn alles so weiterläuft, wie wir uns das vorstellen, dann steht deiner Mom eine glänzende politische Zukunft bevor. Und ich werde nicht zulassen, dass eine störrische Siebzehnjährige ihr das wegnimmt. Oder mir.«
Mom bewegt sich wieder im Schlaf und zieht die Decke enger um ihre Schultern.
»Du musst dich von dieser Familie distanzieren«, fährt Clay leise fort, »und du musst es schon bald tun. Sonst ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis alles herauskommt. Pubertierende Mädchen sind nämlich nicht gerade für ihre Verschwiegenheit bekannt.«
»Ich bin nicht meine Mutter«, entgegne ich. »Ich muss nicht tun, was du sagst.«
Er lehnt sich wieder zurück und streicht sich die Haare aus der Stirn. »Du bist nicht deine Mutter, das stimmt, aber du bist auch nicht dumm. Hast du mal einen genauen Blick in die Geschäftsbücher von Garrett’s Baumarkt geworfen?«
Das habe ich tatsächlich. Tim, Jase und ich sind sie gemeinsam durchgegangen. Ich bin zwar nicht gerade ein Mathe-Ass, aber die Zahlen sehen nicht gut aus. Mr Garrett würde verzweifelt mit dem Kugelschreiber klicken.
»Ist dir dabei vielleicht zufällig der Vertrag mit ›Reed Campaigns‹ aufgefallen? Deine Mutter bezieht jedes einzelne ihrer Schilder, genau wie jede Werbetafel und jeden Wimpel von den Garretts. Das bringt eine Menge Umsatz. Ursprünglich wollte sie Lowe’s damit beauftragen, aber ich habe ihr geraten, einen örtlichen Anbieter zu nehmen, das kommt bei den Wählern einfach besser an. Der Baumarkt kann also bis November mit regelmäßigen Einnahmen rechnen. Und das ist noch nicht alles – der B&T Club vergibt ebenfalls Aufträge an die Garretts, unter anderem Material für den Bau eines geplanten Innenpools. Auch diesen Job haben sie deiner Mutter zu verdanken. Das alles sind wichtige Einkünfte fürs Geschäft. Einkünfte, die schlagartig wegbrechen könnten, wenn das Gerücht aufkommt, sie würden minderwertige Materialien verwenden oder nicht sauber arbeiten …«
»Was willst du damit sagen? Dass du die Verträge kündigst, wenn ich nicht mit Jase Schluss mache?« Der Schein der Stehlampe wirft einen goldenen Schimmer auf Clays Haare, sodass sie beinahe dieselbe Farbe haben wie Corys sandfarbenes Fell. Er wirkt so unschuldig in seinem frisch gewaschenen und gebügelten weißen Hemd mit den hochgekrempelten Ärmeln, seine großen blauen Augen blicken so ehrlich. Ein grundanständiger Mann.
Er lächelt. »Ich will damit gar nichts sagen, Samantha. Ich sage dir bloß, wie es ist. Welche Schlüsse du daraus ziehst, bleibt dir überlassen.« Er hält kurz inne, bevor er hinzufügt: »Aber deine Mutter erzählt mir ständig, wie klug du bist.«
Vierundvierzigstes Kapitel
G leich am nächsten Morgen gehe ich zu den Garretts rüber, um mit Jase zu sprechen.
Schon als ich die Einfahrt hochlaufe, höre ich ihn pfeifen. Es entlockt mir beinahe Lächeln.
Seine gebräunten Waden und die ausgetretenen Chucks, die unter dem Mustang hervorschauen,
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