Mein Sommer nebenan (German Edition)
koketten Geste durch die Haare, die ich bei ihr schon öfter beobachtet habe, wenn er da ist.
»Samantha ist nach der verabredeten Zeit nach Hause gekommen und hat keine Entschuldigung für die Verspätung.«
Genau genommen, hat sie mir keine Gelegenheit gegeben, mich zu erklären, aber ehrlich gesagt, habe ich sowieso keine Ahnung, was ich zu meiner Verteidigung sagen sollte.
Clay wirft einen Blick auf seine Rolex. »Wann hätte sie denn zu Hause sein sollen, Gracie?«
»Um elf.« Moms Stimme klingt jetzt leiser.
Clay fängt an zu lachen. »An einem Sommerabend? Und sie ist siebzehn? Honey, da sind wir alle zu spät gekommen.« Er tritt einen Schritt auf sie zu und legt ihr eine Hand in den Nacken. »Sogar du , da bin ich mir sicher.« Er umfasst ihr Kinn und zwingt sie sanft, ihm den Kopf zuzudrehen. »Sei nicht so streng, Gracie.«
Mom sieht ihn an. Ich beobachte die beiden mit angehaltenem Atem. Ihr neuer Freund, der völlig überraschend zu meinem Helfer in der Not geworden ist, zwinkert mir zu und stupst Mom leicht mit den Fingerknöcheln am Kinn. In seinen Augen ist keine Spur von schlechtem Gewissen zu entdecken und zu meiner Erleichterung auch nicht der Hauch eines verschwörerischen Funkelns wegen dem, was ich gesehen habe.
»Vielleicht habe ich ein bisschen überreagiert«, räumt sie schließlich ein. Aber das sagt sie zu ihm, nicht zu mir.
In diesem Moment frage ich mich, ob ich selbst nicht auch überreagiert habe. Ist es nicht möglich, dass es eine ganz einfache Erklärung für die Frau mit den braunen Haaren gibt?
»Das passiert uns doch allen hin und wieder, Honey. Komm, ich hol dir noch etwas Wein.«
Er nimmt ihr das Glas aus den unruhigen Fingern und verschwindet damit in der Küche, als wäre er bei uns zu Hause.
Mom und ich stehen einander gegenüber.
»Deine Haare sind nass«, sagt sie schließlich. »Du solltest sie dir noch mal waschen und eine Spülung benutzen, bevor du ins Bett gehst, sonst werden sie ganz strohig, wenn sie trocken sind.«
Ich nicke, drehe mich um und gehe die Treppe hoch, als sie hinter mir mit leiser Stimme noch irgendetwas hinzufügt. Aber ich tue so, als hätte ich es nicht gehört, gehe in mein Zimmer und werfe mich bäuchlings aufs Bett, ohne mir vorher die Mühe zu machen, mir den immer noch nassen Badeanzug und das feuchte Strandkleid auszuziehen. Die Matratze gibt nach, als Mom sich zu mir setzt.
»Samantha … warum provozierst du mich so?«
»Tue ich doch gar nicht, ich wollte nicht …«
Sie streichelt mir den Rücken, wie sie es in meiner Kindheit immer gemacht hat, wenn ich schlecht geträumt hatte. »Liebes, du verstehst einfach nicht, wie schwer es ist, alleinerziehende Mutter zu sein. Seit ihr beiden auf der Welt seid, habe ich Angst um euch und frage mich ständig, ob ich auch wirklich alles richtig mache. Denk nur an Tracy und die Sache mit dem Ladendiebstahl. Oder als du mit diesem Michael zusammen warst, der, soweit ich weiß, Drogen genommen hat.«
»Mom. Er hat keine Drogen genommen. Das habe ich dir schon tausendmal gesagt. Er war bloß … seltsam.«
»Wie auch immer. Das sind genau die Dinge, die ich in der Wahlkampfphase nicht gebrauchen kann. Ich muss mich konzentrieren. Ich habe momentan weder die Zeit noch die Energie, mich mit deinen Eskapaden auseinanderzusetzen.«
Eskapaden? Als ob ich jemals frühmorgens splitterfaser-nackt nach Alkohol und Dope riechend nach Hause gekommen wäre.
Sie streichelt noch ein paar Minuten meinen Rücken und hält dann inne. »Also? Warum sind deine Haare nass?«
Die Lüge kommt mir ganz leicht über die Lippen, obwohl ich Mom noch nie angelogen habe.
»Nan und ich haben eine neue Haarkur ausprobiert, die ich gleich noch rauswaschen muss.«
»Ah.« Dann mit leiser Stimme: »Ich habe ein Auge auf dich, Samantha. Du bist immer mein braves Mädchen gewesen. Bitte bleib es auch weiterhin, okay?»
Ich war immer brav. Und wohin hat es mich gebracht? Trotzdem flüstere ich: »Okay«, und halte unter ihren streichelnden Fingern still. Schließlich steht sie auf, wünscht mir eine Gute Nacht und geht.
Ungefähr zehn Minuten später höre ich ein leises Klopfen an der Scheibe. Ich erstarre und lausche mit angehaltenem Atem, ob Mom es auch gehört hat. Aber unten bleibt alles still. Als ich das Fenster öffne, kauert Jase auf dem Vorsprung.
»Ich wollte mich nur vergewissern, dass du okay bist.« Er sieht mich prüfend an. »Bist du okay?«
»Warte kurz.« Ich drücke das Fenster wieder zu und
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