Mein Sommer nebenan (German Edition)
trägt eine Sonnenbrille, obwohl es bewölkt ist. Kein gutes Zeichen. Früher ist er immer so unbeschwert und locker gewesen, viel unkomplizierter als Nan. Jetzt ist er eine tickende Zeitbombe.
»Hey«, begrüße ich ihn zögernd. »Alles klar bei dir?«
»Bestens.« Seine Stimme klingt schroff. Entweder hat er mir noch nicht verziehen, dass ich mich geweigert habe, sein Geldautomat zu sein, oder er ist verkatert. Vermutlich beides.
»Wirklich? Du weißt ja, für den Job hier muss man, na ja … körperlich fit und konzentriert sein.«
»Weil das Schicksal der Welt davon abhängt, wer oder was im Lagoon Pool des B&T untergeht. Schon kapiert. Ich bin genau der richtige Mann für den Job.« Er salutiert, ohne mich anzusehen, dann drückt er sich Sonnencreme in die Handflächen und verreibt sie auf seiner blassen Brust.
»Im Ernst. Du darfst dir nicht den kleinsten Fehltritt erlauben, Tim. Hier sind kleine Kinder und …«
Er legt mir eine Hand auf den Arm. »Das weiß ich alles, Santa Samantha. Du kannst dir den Vortrag sparen.« Er nimmt seine Sonnenbrille ab und klopft sich damit in einer übertrieben theatralischen Geste aufs Herz. »Ich habe einen kleinen Kater, aber ich bin nüchtern. Das Partymachen heb ich mir für den Feierabend auf. Und jetzt lass mich in Ruhe meine Arbeit machen und kümmere du dich um deine .«
»Genau das tue ich gerade. Ich soll dir vor Arbeitsantritt zeigen, wo die Ausrüstung aufbewahrt wird und dir deine Arbeitskleidung geben. Warte.«
Vor dem Drehkreuz am Eingang steht bereits eine mit Wasserspielzeug beladene Gruppe von Müttern mit ihren Kindern, die ungeduldig zu mir rüberschauen. »Noch fünf Minuten«, rufe ich ihnen zu. »Ich muss hier nur noch schnell ein kleines Sicherheitsproblem beheben.«
Tim trottet mir durch die labyrinthartigen Flure zum Materialraum hinterher. Er schwitzt jetzt schon und wirkt ziemlich abwesend. Wir durchqueren die Waschräume mit ihren Kajütentüren nachempfundenen Eingängen, auf denen »Seebären« und »Seemannsbräute« steht und darunter noch mal dasselbe im nautischem Flaggenalphabet.
»Ich glaube, ich muss gleich kotzen«, sagt er.
»Ich weiß, ist total lächerlich, aber …«
Er hält mich am Arm fest. »Nein, ich muss wirklich kotzen.« Er verschwindet auf die Herrentoilette.
Nicht gut. Ich entferne mich ein paar Schritte von der Tür, damit ich seine Würgegeräusche nicht hören muss. Nach ungefähr fünf Minuten kommt er zurück.
»Was?«, fährt er mich an.
»Nichts.«
»Ja klar«, murmelt er, während wir den Materialraum betreten.
»So, das ist deine Ausrüstung.« Ich drücke ihm ein Badetuch, eine Schirmmütze, eine Rettungsschwimmerweste, eine Trillerpfeife und marineblaue Shorts mit dem goldenen Wappen des »Bath and Tennis Club« in die Hand.
»Soll das ein Scherz sein? Kann ich nicht meine eigenen Sachen tragen?«
»Du repräsentierst das B&T«, sage ich ungerührt.
»Scheiße, Samantha. Ich kann diese Kack-Kluft nicht anziehen. Wie soll ich denn in dem lächerlichen Aufzug Bräute aufreißen?«
»Du sollst Leben retten und nicht unsere Badegäste vögeln.«
»Ach, halt die Klappe.«
Scheint als würde jedes unserer Gespräche in derselben Sackgasse enden.
Ich setze ihm die Mütze mit dem goldenen Schriftzug auf, aber er nimmt sie schneller wieder ab, als er »Das Scheißding trag ich auf keinen Fall« sagen kann. »Hast du auch so eine?«, brummt er dann.
»Nein. Aus irgendeinem Grund sind sie den männlichen Mitarbeitern vorbehalten. Wir dürfen stattdessen ein knappes weißes Kapitänsjäckchen tragen.«
»Nicht mit mir. Da kann ich ja gleich als Tunte gehen.«
Ich muss aufhören, mir die ganze Zeit um Tim Sorgen zu machen. Das führt zu nichts. Außerdem lässt einem dieser Job sowieso keine Zeit zum Grübeln. Am anderen Ende des Olympic Pool, für den ich zuständig bin, findet gerade ein Wasser-Aerobic-Kurs für Seniorinnen statt. Obwohl dieser Bereich vom Rest des Beckens mit einer Trennleine abgeteilt ist, wird der Kurs ständig von Kindern gestört, die mitten in die Gruppe hinein Arschbomben machen und die Frauen nass spritzen. Dann gibt es da noch die Babys, die trotz der vielen Hinweisschilder keine Schwimmwindel anhaben und deren Mütter mich für gewöhnlich gereizt anfahren, wenn ich sie höflich darauf aufmerksam mache – »Meine Peyton hat schon mit elf Monaten keine Windel mehr gebraucht!«
Um zwei ist das Becken fast leer und ich kann ein bisschen Luft holen. Die Mütter haben ihre
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