Mein Sommer nebenan (German Edition)
darüber nach, wie schnell sich die Dinge ändern können. Vor einem Monat war ich noch ein Mädchen, das ungefähr fünfundzwanzig unnötige Einkäufe – Q-Tips, Nagellackentferner, Wimperntusche, Handcreme etc. – auf das Laufband der Drogerie legen musste, um den Kassierer von der peinlichen Tamponpackung, dem einzigen Artikel, den ich wirklich brauchte, abzulenken. Heute Abend habe ich Kondome gekauft. Zusammen mit dem Jungen, mit dem ich sie benutzen möchte. Und ansonsten fast nichts.
Jase hat sie sicherheitshalber mit zu sich genommen, weil Mom den Fimmel hat, regelmäßig meine Kommode und meinen Schrank zu inspizieren, um die Kleidungsstücke nach Farben zu sortieren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mir die Ausrede »Material für eine extrem teure Wasserball-Schlacht« nicht abkaufen würde. Als ich Jase gefragt habe, ob seine Mutter bei ihm aufräumt und was er ihr sagen will, falls sie sie findet, hat er mich völlig entgeistert angeschaut.
»Ich räume selbst auf und wasche auch meine Wäsche selbst, Sam.«
Sam. Meine Mutter besteht darauf, mich immer »Samantha« zu nennen. Und Tim nennt mich eigentlich schon seit ich denken kann meistens »Sammy«. Aber ich bin gerne Sam. Ich bin gerne Jase’ Sam. Das klingt nach jemandem, der unkompliziert und nett ist. Nach jemandem, der ich gerne sein möchte.
Ich spucke den Zahnpastaschaum ins Becken und betrachte mein Gesicht im Spiegel. Werde ich anders aussehen, wenn Jase und ich diese Kondome benutzt haben? Mich anders fühlen? Und woher sollen wir wissen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist?
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Z wei Tage später sitze ich neben Tim im Wagen und navigiere ihn zu Moms Wahlkampfbüro, wo er ein Bewerbungsgespräch hat. Nichts an ihm erinnert mehr an den Typen, der noch vor Kurzem völlig zugedröhnt am Steuer saß und in New Hampshire Bacardi kaufen wollte. Heute trägt er einen hellgrünen Anzug mit rot-gelb gestreifter Krawatte und sieht aus wie aus dem Ei gepellt. Allerdings ist er ziemlich nervös, trommelt die ganze Zeit mit den Fingern auf dem Lenkrad und zündet sich eine Zigarette nach der anderen an.
»Alles okay?«, frage ich und bedeute ihm, an der nächsten Kreuzung links abzubiegen.
»Alles andere als okay.« Tim wirft die Kippe, die er gerade zu Ende geraucht hat, aus dem Fenster und drückt sofort wieder den Zigarettenanzünder rein. »Ich habe schon seit Tagen nichts mehr geraucht und keinen Tropfen getrunken. So lange am Stück war ich das letzte Mal nüchtern, als ich elf war. Ich fühle mich scheiße.«
»Bist du sicher, dass du diesen Job willst? Wahlkampf ist nichts als Show. Da kommt sogar mir öfter das Kotzen, dabei bin ich noch nicht mal auf kaltem Entzug.«
Tim schnaubt. » Auf kaltem Entzug? Du hörst dich schon an wie eine verdammte Drogentherapeutin aus der Jugendpsychiatrie.«
Ich verdrehe die Augen. »Sorry, dass ich mir erlaubt habe, die Dinge beim Namen zu nennen.«
»Ich kann nicht den ganzen Tag bei Mom zu Hause rumhocken. Die Frau treibt mich in den Wahnsinn. Und wenn ich nicht beweise, dass ich – O-Ton meiner Eltern – ›mit meiner Zeit etwas Sinnvolles anstelle‹, stecken sie mich auf der Stelle ins Camp Tomahawk.«
»Das ist ein Scherz, oder? Heißt das Camp, wo deine Eltern dich hinschicken wollen, wirklich so?«
»Vielleicht auch Camp Guillotine. Oder war es Camp Castration? Jedenfalls klang es nicht so, als würde ich es dort lange aushalten. Ich bin einfach nicht dazu geeignet zu lernen, wie man in der Wildnis überlebt, indem man sich von Wurzeln und Beeren ernährt oder einen Kompass aus Spinnweben bastelt oder was für eine Kacke auch immer einem dort beigebracht wird. Aus mir würde das jedenfalls keinen besseren Menschen machen, im Gegenteil.«
»Ich finde, du solltest Jase’ Vater fragen, ob du bei ihm arbeiten kannst.« Ich zeige nach rechts, als wir an die nächste Kreuzung kommen. »Da lang. Er ist viel entspannter als meine Mom. Außerdem hättest du abends frei.«
»Das ist ein Job in einem verdammten Baumarkt, Sammy. Ich kann noch nicht mal einen Schraubenzieher von einem Schraubenschlüssel unterscheiden. Ich bin der Typ mit den zwei linken Händen, kein Handwerker wie dein Loverboy.«
»Ich glaube nicht, dass du irgendetwas reparieren müsstest, du brauchst das Werkzeug doch nur verkaufen. Da vorne ist es.«
Tim fährt in die Einfahrt des Hauses, in dem das Wahlkampfbüro untergebracht ist. Im Vorgarten stecken Schilder, auf denen diverse
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