Mein Tag ist deine Nacht
Sonderbare an meiner Situation mal beiseiteließ. Meine Hand noch immer von Nicole vereinnahmt, ging ich mit ihr ans Fenster und blickte zum Vorgarten und zur Straße hinaus. Draußen strahlte die Oktobersonne, und ich dachte mir, wie schön es doch wäre, an einem Tag wie diesem mit Frankie spazieren zu gehen. Das Gefühl, in der Falle zu sitzen, umfing mich wie eine Wolke. Ich war daran gewöhnt, mein eigener Herr zu sein, und ich brauchte meinen Freiraum.
Toby hatte bereits begonnen, seine Autos auf dem Spielteppich herumdüsen zu lassen, die gelegentlich gegen die weiß gestrichene Fußleiste krachten, so dass Farbe auf den Teppich rieselte. Er hielt einen gelben Muldenkipper hoch. »Das ist mein bestes Spielzeug«, sagte er. »Der und der Bagger.«
Nicole sah mich besorgt an. Sie wirkte wie ein empfindsames kleines Mädchen, das sich verzweifelt nach meiner Aufmerksamkeit sehnte, und ich wollte sie nicht enttäuschen. Ich drückte ihr beruhigend die Hand, wandte mich dann widerstrebend vom Fenster ab und ließ mir in aller Ausführlichkeit die Spielsachen ihres Bruders zeigen. »Sie wirken sehr echt«, sagte ich. »Nimmst du sie denn je mit raus und gräbst damit in echtem Matsch oder Sand?«
Toby machte ein verblüfftes Gesicht und schüttelte dann den Kopf. »Du hast doch gesagt, im Garten ist Spielzeug verboten«, sagte er.
»Nun, ich hab’s mir anders überlegt«, erklärte ich und richtete mich vorsichtig auf. »Kommt, Kinder. Nicole, Sophie, ihr könnt mir den Garten zeigen. Und du, Toby, nimm deinen Kipper und Bagger mit.«
Ich schaltete den Fernseher aus, ohne mich um das empörte Stöhnen von Sophie zu kümmern, und folgte einem grinsenden Toby durch den Wirtschaftsraum in den hinteren Garten. Dort befand sich eine breite gepflasterte Terrasse, die von oben nicht zu sehen gewesen war, und auf der ein Holztisch und dazu passende Stühle standen. Ein paar Terrassenstufen führten auf den Rasen hinunter.
»Was liegt denn hinter diesen Tannen da?«, fragte ich sie und blickte ans Gartenende.
Sophie und Nicole tauschten Blicke aus, als wollten sie sagen »Wie kann die nur so dumm sein«, dann meinte Sophie reichlich herablassend: »Dort bringt Jim immer den Rasenschnitt und so was hin.«
»Jim ist der Gärtner, Mami«, erklärte Nicole, freundlicher als ihre Schwester. Sie nahm mich wieder an der Hand, so, als sei ich das Kind und sie die Erwachsene, und führte mich zu den Bäumen, die anderen im Gefolge. »Möchtest du’s dir angucken?«
»Ja, schon«, sagte ich, froh, der erstickenden Langeweile des Hauses entflohen zu sein. Als ich gierig die frische Luft einatmete, reifte in mir die Idee, dass ich, wenn ich schon in diesem Leben feststeckte, genauso gut versuchen konnte, diese verrückte Sache auch durchzuziehen. Und wenn ich schon mitspielte, warum dann nicht richtig? »Ich möchte mich an alles erinnern, damit ich wieder eine gute Mami sein kann.«
»Das kannst du nicht«, ertönte eine Kinderstimme hinter uns. »Weil du nicht Mami bist.«
Ich blieb stehen und drehte mich zu Teddy um.
»Tut mir leid, Teddy«, sagte ich und kauerte mich vor ihm nieder. »Das ist schwer für uns alle. Aber ich wäre sehr glücklich, wenn du mir eine Chance gäbst, es zu versuchen.«
Er sah drein, als würde er weitere Einwände vorbringen wollen, besann sich jedoch offensichtlich eines Besseren, denn er blickte mir direkt in die Augen und nickte dann abrupt.
»Schön«, meinte ich und erhob mich wieder. »Auf zum Komposthaufen!«
Wir drängten uns durch eine Lücke zwischen den Nadelbäumen, und zu meiner Überraschung fand ich auf der anderen Seite einen großen Bereich ungepflegten Gartens vor. Hier war das Gras lang und braun. Jenseits eines mit Natursteinen gepflasterten Wegs befand sich ein hoher Haufen aus Blättern, Grasschnitt und abgeschnittenen Ästen. Auf der anderen ein kleiner Schuppen, wo Jim vermutlich den Rasenmäher und Werkzeuge aufbewahrte.
Ich versuchte die Schuppentür mit der rechten Hand zu öffnen, um die beschädigte linke Schulter zu schonen, aber sie war abgeschlossen, und so beschattete ich die Augen und spähte durch ein Seitenfenster. Ich hatte recht. In dem Schuppen war alles an Gerätschaften untergebracht, was ein Gärtner so brauchte.
»Habt ihr eine Ahnung, wo der Schuppenschlüssel sein könnte?«, fragte ich die Kinder.
Sie sahen mich ausdruckslos an, dann meinte Teddy verschwörerisch: »Ich weiß, wo Jim ihn hingelegt hat.«
Er verschwand und kehrte mit einem
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