Mein ungezähmter Highlander
ein weiterer lobenswerter Charakterzug, der zu seinen Gunsten sprach. Dieser Mann war so vielschichtig, und je tiefer der Einblick war, den sie bekam, desto mehr gab es zu bewundern.
Erwartungsvolles Stimmengewirr erhob sich über dem Saal und ließ alle Gespräche plötzlich verstummen. Das abendliche Unterhaltungsprogramm sollte beginnen. Ein hünenhafter weißhaariger Mann, der an einem der Tische unterhalb der erhöhten Tafel gesessen hatte, stand auf, durchquerte den Raum und stellte sich vor das Feuer. Er trug einen schlichten, langen Kilt, doch umso auffälliger war sein Bart, der ihm bis zu den Knien reichte. Er war voll und flaumig und so weiß wie frisch gefallener Schnee. Er hob seine runzeligen Pranken und räusperte sich laut, damit es im Raum leise wurde. Eoin Og Muirgheasain, Seannachie der MacLeods, hub mit kräftiger, melodischer Stimme, die durch den ganzen Saal hallte und so gar nicht zu seinem Alter zu passen schien, an zu sprechen.
»Unser Chief hat mich gebeten, heute Abend die Geschichte zu erzählen, wie der Clan zum An Bratach Sith , dem Feenbanner, der MacLeods kam.«
Isabel wurde blass. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als
sie merkte, um welches Thema es an diesem Abend gehen würde. Rory konnte es nicht wissen. Es ist nur ein Zufall, sagte sie sich, während sie versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Doch ihre Hände wurden ganz feucht, weil sie sie so fest zusammenpresste. Bewusst ließ sie ihren Blick nicht schweifen, um festzustellen, ob irgendjemand beobachtete, wie sie reagierte. Aber sie spürte, dass Rory sie nicht aus den Augen ließ.
»Vor langer, langer Zeit verliebte sich ein gut aussehender junger Chief in eine wunderschöne Feenprinzessin – eine vom bean sidhe . Das Paar wollte heiraten und bat den Vater der Prinzessin, den König der Feen, um Erlaubnis. Doch erstaunlicherweise war der König gegen die Verbindung. Denn er wusste, dass die Heirat mit einem Sterblichen seine geliebte Tochter eines Tages in unendliche Trauer stürzen würde, weil der junge Chief im Gegensatz zu der Prinzessin eines Tage alt sein und sterben würde.
Ein dunkler Schleier der Trauer legte sich über die Insel, denn sie waren von wahrer, doch unerfüllter Liebe füreinander beseelt. Die Tränen der Prinzessin füllten die Bucht und drohten das Land zu überschwemmen – und so gab der König schließlich nach. Die Prinzessin sollte eine Ehe auf Probe mit dem MacLeod eingehen, und es gab eine Bedingung: Sie musste versprechen, nach einem Jahr und einem Tag zu ihrem Volk zurückzukehren. Das Paar war so glücklich, wieder miteinander vereint zu sein, dass es bereitwillig auf die Bedingung des Königs einging.«
Isabel hatte die bezaubernde Geschichte noch nie zuvor gehört, trotzdem fiel es ihr schwer, sich zu entspannen. Sie blickte sich verstohlen um und war froh, dass keiner ihren inneren Aufruhr zu bemerken schien. Alle Clanmitglieder schienen von der Geschichte völlig gefesselt zu sein, obwohl sie sie bestimmt
schon häufig gehört hatten. Und weil Isabel befürchtete, Rory könnte ihre Unruhe bemerken, wagte sie es nicht, in seine Richtung zu schauen.
»Die Leute erfreuten sich am Glück des Paares, und ehe das Jahr um war, wurde ein geliebter Sohn geboren. Doch die Freude über die Geburt des Kindes wurde von dem Wissen getrübt, dass die Prinzessin bald zu ihrem Volk zurückkehren und ihren geliebten Gatten und den kostbaren Sohn für immer würde verlassen müssen.
Und dann kam der Tag, an dem sie wieder ins Land der Feen zurückkehren musste. Der Feenprinzessin und dem Chief brach es das Herz, doch sie wussten, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als zu ihrem Versprechen zu stehen. Denn das Wort eines MacLeod galt unter allen Umständen und konnte nicht gebrochen werden. Beim Abschied nahm die Feenprinzessin ihrem Gatten ein Versprechen ab. Er musste schwören, ihren Sohn niemals allein zu lassen, denn die Feenprinzessin meinte es nicht ertragen zu können, jemals das Weinen ihres kostbaren kleinen Sohnes zu hören. Schließlich ließ die Prinzessin ihren geliebten Gatten mit dem Sohn zurück, nachdem sie ihm einen verzweifelten, bittersüßen Kuss gegeben hatte, der ein Leben lang halten sollte. Dann verschwand sie im Nebel über der Brücke, welche wir heute im Gedenken an ihre Trennung die Feenbrücke nennen, und kehrte voll Kummer zu ihrem Volk zurück.«
Der Seannachie legte eine dramatische Kunstpause ein. Im Saal war es mucksmäuschenstill. Er ließ
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