Mein ungezähmter Highlander
sich einen Kelch reichen und nahm einen schier endlos scheinenden Schluck daraus. Das atemlose Schweigen schien vor Anspannung zu knistern. Er wirkte wie ein Druide aus einer anderen Zeit, als der Rauch des Torffeuers fast schon mystisch sein Haupt umgab. Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und
schaute sich dann aufmerksam um, ob sein Publikum auch wirklich zuhörte.
Das tat es.
»Der Schmerz des Chiefs der MacLeod war unermesslich. Er hatte sein geliebtes Weib für immer verloren. Doch er tröstete sich mit dem Gedanken, dass ihm zumindest sein Sohn geblieben war. Er hielt das Versprechen, das er seiner Frau gegeben hatte, und ließ das Kind nie allein. Nie … bis zu dem Abend, an dem der Geburtstag des Chiefs gefeiert wurde. An dem Abend wurde ein großes Fest abgehalten, um den trauernden Chief aufzumuntern. Die Dudelsackpfeifer ließen ihre magische Musik erklingen, und schließlich ließ er sich dazu bewegen, zu singen und zu tanzen. Doch leider lockten die fröhlichen Klänge das Kindermädchen herbei, welches auf das Kind aufpassen sollte. Sie ließ das Baby allein, und es begann zu weinen. Fern im Lande des Feenvolkes hörte die Prinzessin das mitleiderregende Wimmern ihres Kindes, und sie wurde von einem unerträglichen Schmerz erfasst. Sie eilte zu ihrem Kind und tröstete es mit leise geraunten Zauberworten. Die Prinzessin wickelte das Kind in ihr Tuch und küsste zärtlich seine Tränen fort, wobei sie ihm liebliche Feenlieder vorsang, um es zu beruhigen. Bis zum heutigen Tage wird den Erben des MacLeod jenes Lied mit den verzauberten Worten vorgesungen:
Siehe mein Kind, so Glieder fein wie von Reh oder Kitz, beschlägt die Pferde, nimmt sie sich mit vollem Geschirr, die feurigen Rösser, mo leanabh beag, mein kleines Kind! … Ach! Könnte ich doch dein Pferdegespann sehen; Männer folgen ihm, dienen den Frauen, kehren heim und der Catanaich sät das Korn! … Ach! Nicht vom Stamme Kenneth stammst du ab! Ach! Nicht vom Stamme Conn. Du, der du bist ein Abkömmling
einer achtbareren Sippe – vom Stamme Leod von Rüstung und Schwert, deren Väter Land daselbst ist Lochlann.
Später, als das Kindermädchen endlich wieder zurückkam, sah sie, dass das Kind in ein hauchzartes rotgelbes Tuch gehüllt friedlich schlief.
Viele Jahre später erzählte der Junge seinem Vater, was in jener Nacht passiert war – in jener Nacht, als seine Mutter nach Dunvegan heimgekehrt und ihr Tuch, das An Bratach Sith , für ihren Sohn zurückgelassen hatte. Die Prinzessin ließ das Feenbanner bei ihrem Kind, um den Clan zu beschützen. Wenn den MacLeods je große Gefahr drohte, sollte das Feenbanner entrollt und dreimal geschwungen werden. Und sofort würden die Ritter der Feen zu ihrem Schutz herbeigeeilt kommen. Aber wie bei den Feen üblich waren auch daran Bedingungen geknüpft. Wenn ein anderer als ein MacLeod das Banner berührte, würde dieser sofort zugrunde gehen. Und wichtiger noch – das Banner würde nur dreimal seine Zauberkraft entfalten. Deshalb sollte es nur benutzt werden, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gab.«
Seine Stimme war nun kaum mehr als ein Flüstern, doch trotzdem konnten ihn alle hören. Der Seannachie hatte alle mit seiner Geschichte in den Bann gezogen. Isabel rutschte auf ihrem Platz nach vorn und wartete gespannt auf das Ende der Geschichte.
»Das Banner wird an einem geheimen Ort verwahrt, den nur der Chief kennt – sicher verstaut in einer verschlossenen Kiste, doch jederzeit griffbereit, um es zu entrollen, sollte der Clan je wieder seines Feenzaubers bedürfen. Es kann nur noch einmal entrollt werden, das Banner, denn zu Zeiten von Alasdair Crotach wurde seine Kraft zweimal benötigt – einmal, um den Clan vor der sicheren Niederlage durch den Clan
Donald zu bewahren, und ein anderes Mal, um den Clan vor dem Hungertod zu retten. Doch diese Geschichten behalte ich einem anderen Abend vor.«
Von allen Seiten waren enttäuschte Stoßseufzer zu hören, und sie kamen nicht nur vom jungen Volk. Doch wie in der Tradition großer Barden üblich ließ er sein Publikum in gespannter Erwartung auf die Fortsetzung zurück. Hoheitsvoll wie ein König ging Eoin Og Muirgheasain langsam zu seinem Platz zurück und genoss voller Stolz den donnernden Applaus.
Isabel war sehr bewegt und immer noch im Bann der bezaubernden Geschichte von verlorener Liebe und der mütterlichen Fürsorge der Feenprinzessin für ihr Kind. Die Geschichte rührte das Herz des Mädchens,
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