Mein verruchter Marquess
von Carissas Brief zu lesen, doch rasch erkannte sie, dass ihre Freundin den Brief in so verzweifelter Verfassimg geschrieben hatte, dass sie ihn ganz überflog. Seit Daphne fort war, hatten Carissas Cousinen begonnen, sie mit stärkerer Macht zu quälen. Schlimmer noch, Carissas neue Bekanntschaft mit den skandalumwitterten Warrington und Falconridge hatten den eifersüchtigen Harpyien neuen Zündstoff gegeben. Ihre Anspielungen und Scherze, das konnte Daphne sich gut vorstellen, vermochten den Ruf eines Mädchens zu ruinieren.
Als sie am Ende des Briefes angekommen war, machte sie sich ernsthafte Sorgen. Sie wusste sofort, dass sie entweder Carissa zu sich aufs Land einladen oder selbst eine Weile nach London zurückkehren musste, um die Freundin zu retten.
Verwirrt von der Sorge um Carissa, verlangte es sie nach einem Moment in Max' Gesellschaft, um ihre Aufregung zu vertreiben. Sie lief nach oben, um ihn zu fragen, wie er über die Sache dachte, und erteilte unterwegs dem Personal noch ein paar Anweisungen. Inzwischen brauchte sie das Schild nicht mehr, um das Herrenzimmer zu finden.
Aus reiner Gewohnheit betrat sie den Raum durch die zweite Tür, die von ihrer Seite des Zimmers aus hereinführte. Ihrer beider Schlafzimmer waren durch einen kleinen Raum miteinander verbunden, der auf der einen Seite einen Spiegel, einen Schrank und einen Safe für den Schmuck hatte und auf der anderen ein dekadentes Bad im römischen Stil, ein Wunder der modernen Errungenschaften mit seinen marmornen Säulen, die die Wanne umgaben, und heißem Wasser, das beinahe ständig aus dem Wasserhahn zur Verfügung stand.
In dem gemeinsamen Zimmer war es außergewöhnlich ruhig.
Sie runzelte die Stirn, ging auf Max' Raum zu und fragte sich, ob er vielleicht gar nicht hierhergekommen war.
Plötzlich stieg ihr etwas in die Nase, was sie für Schwefel hielt, zusammen mit einer Spur Essig.
Erstaunt blieb sie stehen und verzog das Gesicht. Der strenge Geruch trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie war schon an ihrem Ende des kleinen Durchgangs angekommen und wollte gerade fragen, was er da machte, da entdeckte sie sein Spiegelbild und zuckte verwirrt zusammen.
Daphne sah, wie er auf der Bettkante saß und mit einer kleinen Pipette eine Flüssigkeit auf den Brief träufelte, den er von Virgil bekommen hatte.
Sie hielt den Atem an und blieb stehen. Stumm sah sie zu, wie Max die Pipette in eine Flasche zurücksteckte, von der, wie sie vermutete, der schreckliche Gestank ausging. Sie erschauerte und bemerkte, dass er ein Fenster geöffnet hatte, um die unangenehmen Gerüche zu vertreiben.
Dann blies er auf den angefeuchteten Brief, als wollte er die Flüssigkeit trocknen, die er darauf geträufelt hatte. Ihr Herz begann, wie wild zu schlagen, während er den Brief noch einmal aufmerksam las, als fände er jetzt Informationen, die ihm zuvor verborgen geblieben waren. Unsichtbare Tinte? dachte sie erschrocken.
Was, um alles in der Welt, passierte hier?
Als wäre das noch nicht erstaunlich genug, war Daphne völlig verblüfft, als sie sein Versteck sah. In der Wand an seinem Bett war eine kleine dekorative Nische, in der gewöhnlich eine Vase stand. Jetzt gab es da nur ein Loch in der Wand.
Als er mit dem Brief fertig war, nahm Max ihn samt der Flasche mit der geheimnisvollen Flüssigkeit und legte beides in den Hohlraum in der Wand. Er schob die Rückwand der Nische zurück, bis ein Klicken zu hören war, stellte die Vase wieder an ihren Platz und schloss das Fenster. Als er an ihr vorüberging, bemerkte sie seine besorgte Miene.
Rasch zog sich Daphne aus dem Durchgang zwischen den Schlafzimmern zurück. Eine innere Stimme riet ihr, sich nicht sehen zu lassen. Sie war entsetzt.
Was soll ich tun? Was versteckt er da vor mir?
Da innerhalb der nächsten Stunden Gäste erwartet wurden und noch so viel zu tun war bis dahin, brachte sie es nicht fertig, ihm jetzt entgegenzutreten. Sie wollte keinen Streit vom Zaun brechen, wenn die örtliche Gesellschaft kam, um sie bei ihrem ersten Fest als Gastgeberin zu begrüßen.
Und sie wollte nicht, dass sämtliche Nachbarn zu ihrem ersten Ehestreit dazukamen, vor allem nicht, weil der vermutlich apokalyptische Ausmaße annehmen würde. Bebend vor Zorn schüttelte sie den Kopf, als sie hörte, wie er das Schlafzimmer am anderen Ende der Suite verließ.
Einen Moment lang lehnte sie sich an die Wand, um sich wieder zu sammeln. Ihr war übel bei dem Gedanken, jetzt bestätigt bekommen zu haben, was
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