Mein verruchter Marquess
wollte.
Sie erwog, Lord Rotherstone auf ihre Liste möglicher Wohltäter zu setzen, denn es hieß, er wäre so reich wie Krösus, und außerdem hatte er mit eigenen Augen gesehen, welche Gefahren die gegenwärtige Lage des Waisenhauses mit sich brachte.
Jedenfalls redete sie sich ein, dass das der Grund war, warum sie ihm schreiben wollte. Wenn sie aber ganz ehrlich war, so misstraute sie ihren eigenen Motiven, wenn es um diesen Mann ging.
Ganz bestimmt konnte ihr dringlicher Wunsch, Lord Rotherstone zu schreiben, doch nicht darin begründet sein, ihn daran zu erinnern, dass es sie gab!
Seit dem Ball war der Marquess ständig in ihren Gedanken gegenwärtig, aber zu ihrem wachsenden Unmut war Lord Höllenfeuer selbst seither nicht mehr in der Gesellschaft erschienen.
Daphne wusste nicht, warum sie das überhaupt beschäftigte.
Sie hatte diesen Mann gerade erst kennengelernt und war nicht sicher, ob sie ihn wiedersehen wollte - zum einen freute sie sich bei dieser Vorstellung, zum anderen fürchtete sie sich vor dem, was der unberechenbare Marquess als Nächstes tun würde.
Sie kam sich ein wenig dumm vor, wenn sie an sein Versprechen dachte, mit ihr zu tanzen, denn zu ihrem Missfallen schien er sie jetzt vollkommen vergessen zu haben.
Verflixt. Sie tat ihr Möglichstes, um ihn aus ihren Gedanken zu verbannen, aber zu wissen, dass er London nicht verlassen hatte, half ihr nicht gerade. Wäre es anders gewesen, hätte das seine Nachlässigkeit verständlicher gemacht.
Carissa, die immer den neuesten Klatsch kannte, hatte berichtet, dass Lord Rotherstone in der Stadt gesehen wurde, zusammen mit zwei seiner unsagbaren Freunde aus dem Inferno Club.
Das, vermutete Daphne, waren die lang erwarteten Ankömmlinge gewesen, von denen er in der Nacht des Edgecombe-Balles Nachricht erhalten hatte. Dem Klatsch zufolge waren die drei gesehen worden, wie sie beim Preisboxen wetteten, sich bei Angelo's im Schwertkampf übten und die Pferde bei einer Auktion von Tattersall's musterten. Doch wie es schien, konnten sie sich nicht dazu durchringen, in der Gesellschaft zu erscheinen.
Nun, Daphne musste zugeben, dass sie ein wenig verstimmt war. Nach der Art und Weise, wie sie in Edgecombe House geflirtet hatten, war sie sicher gewesen, dass er genauso begierig darauf war wie sie, den Tanz einzufordern, den sie einander versprochen hatten. Aber jetzt, angesichts seiner andauernden Abwesenheit, musste sie annehmen, dass der weltgewandte Teufelsmarquess nur mit ihr gespielt und sie vermutlich für eine naive junge Dame gehalten hatte.
Vielleicht hatte Carissa in Bezug auf ihn von Anfang an Recht gehabt.
In diesem Moment unterbrach das Klopfen ihrer Zofe zum Glück Daphnes unerfreuliche Gedanken. „Ja bitte?"
Wilhelmina steckte ihren Kopf durch die Tür. „Lord Starling möchte Sie sprechen, Miss."
Daphne nickte. „Ich komme gleich." Sie war froh, den widersprechenden Gefühlen entfliehen zu können, die die Gedanken an den Marquess in ihr weckten, daher verließ sie ihr Zimmer gleich, nachdem ihr Vater nach ihr geschickt hatte.
Auf dem Weg nach unten fiel ihr plötzlich auf, wie still es im Haus war. Kein Hämmern auf dem Pianoforte. Kein Jammern und Klagen.
Mitten auf der Treppe blieb sie stehen und lauschte, plötzlich misstrauisch geworden.
Statt polternder Schritte und lautem Gelächter hörte sie nur die leisen Stimmen, mit denen ihre Stiefschwestern Französisch übten.
Daphne beugte sich vor und blickte durch einen Rundbogen in den Salon. Die beiden Mädchen saßen neben ihrer Gouvernante auf dem Sofa, die Köpfe folgsam über die französische Grammatik gebeugt. Penelope saß in einem Lehnstuhl daneben und widmete sich ihrer Nadelarbeit. Zum ersten Mal in ihrem Leben wirkten sie wie eine nette, respektable Familie.
Nachdenklich runzelte Daphne die Stirn, und eine dunkle Vorahnung überkam sie. Sie hatte das seltsame Gefühl, dass Ärger ins Haus stand.
Oh nein, dachte sie plötzlich. Was, wenn Papa von der Geschichte in der Bucket Lane erfahren hatte? Vielleicht hatten die beiden Willies versehentlich eine Bemerkung darüber fallen lassen?
Ein unbehagliches Gefühl stieg in ihr auf, aber sie zwang sich, weiterzugehen in der Hoffnung, dass nichts geschehen war. Manchmal schickte der Vater auch nach ihr, wenn er die Pointe eines Scherzes vergessen hatte ...
Als sie jedoch den Fuß der Treppe erreichte und auf dem Weg zum Arbeitszimmer am Salon vorbeikam, hob Penelope den Kopf und warf ihr einen scharfen Blick
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