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Mein Wahlkampf (German Edition)

Mein Wahlkampf (German Edition)

Titel: Mein Wahlkampf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Maria Schmitt
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gesamte Stadtgebiet verteilt; Wasserhäuschen heißen sie wohl, weil es dort alles zu kaufen gibt – außer Wasser. Ich sollte nun im Rahmen eines noch nie dagewesenen Wasserhäuschen-Hoppings einen Tag lang Kioske im Stadtgebiet abklappern und mich leutselig unters Volk mischen, um so «Anschluss an die Massen» zu gewinnen. «Sie müssen ein Politiker zum Anfassen sein», sagte der Kommissar, als er mir den Stadtplan mit der ausgearbeiteten Route übergab.
    Zu meinem besonderen Missfallen war ich wieder mit dem roten Straßenkehrergefährt unterwegs. Auf den versprochenen roten Mercedes 190 SL wartete ich immer noch. Ich fragte mich, ob ich den überhaupt noch mal irgendwann bekäme. Den Landesvorsitzenden fragte ich auch.
    «Der ist immer noch nicht durch den TÜV. Ist aber nur noch eine Sache von Tagen, von Stunden. Glaub mir – sobald er durch ist, hast du ihn.» Das Straßenkehrerauto, so fügte er noch an, sei aber sowieso viel fotogener, die Presse habe ja schon ausführlich berichtet. Bei einem für mich viel zu teuren Zuhälterwagen würden die Medien doch «abspringen», mutmaßte er und schwieg bedeutungsvoll.
    Die Presse hatte meine Anwesenheitszeiten an den einzelnen Wasserhäuschen brav vorab gemeldet, so war ich immer in bester Gesellschaft. «Hallo, ich bin Messie», stellte sich ein Herr vor, der noch vier Zähne besaß, die er wild im Mund verteilt trug. Wenn die Stadt Frankfurt ihm eine zweite Wohnung beschaffe – die alte sei nämlich schon voll –, dann würde er mich wählen. Ich versprach, mich intensiv für ihn zu verwenden und ihm nach der Wahl beim Aufräumen zu helfen, was er aber dankend ablehnte. Dennoch schieden wir als Freunde, als Wähler und designierter Gewählter.
    Ich klapperte Häuschen um Häuschen ab, gab Autogramme, posierte für Fotos und forderte Freigetränke ein. Ich traf Rentner, Arbeitslose, Lottospieler, Zeitvertreiber und Stadtteiltrinker, manche kannten mich, andere hielten mich für den CDU-Mann, wofür ich sie spontan beschimpfte. Ein gut aufgelegtes Ehepaar sang auf die Melodie von Jingle Bells den alten Siebziger-Jahre-Hit von Horsti Stinkstiefel Arbeitslos ist schön . Sie konnten alle Strophen: Arbeitslos, arbeitslos, arbeitslos ist schön / Weil wir dann morgens schon an der Theke stehn / Arbeitslos, arbeitslos, arbeitslos ist schön / Vater Staat lässt uns nicht vor die Hunde gehn.
    Das Wasserhäuschen-Hopping endete im «Wasserhäuschen am Turm» im berüchtigten Gallusviertel, einem Slum inmitten der Bankenmetropole, der sich als Schmitt-Hochburg entpuppen sollte. Der Aktivist hatte rund um den gut sortierten Kiosk Plakate gehängt, Hunderte politikinteressierte Jägermeistertrinker und Pilsschlucker standen herum und lauschten meinen leeren Versprechungen, die ich, auf einer Bierkiste stehend, unters Volk brachte. Ich machte den Leuten, die es immer noch in diesem heruntergekommenen und rückständigen Quartier aushielten, vage Zusicherungen, dass auch sie bald einmal ans Stromnetz und an die Kanalisation angeschlossen werden würden. Als es dann noch für jeden ein Fläschchen Jägermeister gab, waren alle der vernünftigen Meinung, dass ich wohl der aussichtsreichste Kandidat sei. Was den Befund des Massenpsychologen Gustave Le Bon zumindest teilweise widerlegte, der befand: «Die Massen haben nur eingeflößte, nie vernünftige Meinungen.»
    Zum ersten Mal in diesem Wahlkampf hatte ich das Gefühl, echten Menschen zu begegnen. Menschen, die geradeheraus waren. Unverstellt. So wie etwa dieser bullige junge Mann in der Bomberjacke, der gemütlich lachend seinen Arm um meinen Hals legte, und zwar so eng, dass es irgendwo knackte. Er stellte sich vor als «der Raphael von den Mainhattan Hools», und die beiden Schränke, die da hinter ihm stünden, das seien seine besten Kumpels, die «absolut alles» für ihn, den Raphael, tun würden, falls man ihm «was zuleide» täte. Insgesamt fänden er, der Raphael, und seine Kumpels, meine Kampagne sei «ganz weit vorn», ja nachgerade «übelst geil», besonders das mit dem unterirdischen Bankenviertel und der Anti-Nichtraucher-Nummer – aber dieser Punkt da mit der Eintracht, also der Eintracht Frankfurt, also das gehe «echt gar nicht», sagte der Raphael, und seine beiden Kumpels nickten mir bestätigend zu.
    «Wie ist denn da meine Position?», fragte ich neugierig, denn ich interessiere mich, wie ich bereits erwähnt habe, nicht für Sport und hatte diesen Punkt völlig vergessen.
    «Na, dass die

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