Mein Wahlkampf (German Edition)
wieder: Hopp, hopp, hopp / Atomraketen stopp! Wenn uns langweilig war und uns die Polizisten, die damals einheitlich den sogenannten «Bullenschnäuzer» trugen, besonders böse anstarrten, riefen wir: Die absolute Härte / sind Oberlippenbärte . Und wenn gar nichts mehr ging, dann wurden wir international: Hoch / die / internationale Solidarität .
Ich nahm das Megaphonmikro fest in die Hand und drückte den Knopf. Macht alle mit / Wählt Olli Schmitt! ,schrie ich und stellte erleichtert fest, dass sich das eigentlich ganz rund und stimmig anhörte, wenn hundert Kehlen es nachkrakeelten.
«Bürger, lasst das Shoppen sein / Wählt den Schmitt und reiht euch ein!» Unser Demonstrationszug erreichte Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 2,9 km/h.
Gemächlich latschten die schmittschreienden Demonstranten einher. Zu gemächlich! Ich gab etwas Hackengas und forderte auch die Polizisten auf, ein wenig schneller zu werden. Von Anfang an war ich dafür gewesen, der Demo ein gewisses Tempo zu geben, damit sie gerade noch so als Marsch durchging. Ein Marsch, ein historischer Aufmarsch sollte diese demokratische Willenskundgebung sein.
Große Märsche haben in Deutschland Tradition, vom Marsch auf die Feldherrenhalle über den Marsch durch die Institutionen bis hin zum Narhallamarsch. Und nicht zuletzt durch seinen «Langen Marsch» ist Mao Tse-tung weltberühmt geworden. Unser Marsch würde zwar nicht ganz so lange gehen, aber es musste ja auch nicht gleich Weltruhm sein, den ich damit erbeutete – eine gewonnene Wahl reichte schon.
Doch die Bullen bremsten mich. Wir dürften nicht schneller gehen, sagten sie. Vor uns sei noch eine andere Demonstration, Iraner oder was, da müssten wir Sicherheitsabstand halten.
«Ja, da sind Perser», bestätigte der herbeieilende Landesvorsitzende. «Ich weiß Bescheid.»
Wie es sich gehörte, hatte der umtriebige Mann Tage zuvor auf dem Ordnungsamt die «Anmeldung einer öffentlichen Versammlung gemäß §14 Versammlungsgesetz» vollzogen und gemeinsam mit der Amtsinspektorin eine schöne Marschroute durch die Innenstadt erarbeitet. Eigentlich hatte er für die marschierenden Massen ganz bescheiden eine Route durch Nebenstraßen vorgeschlagen; er wollte die Demo nicht gefährden, weil er mit der Anmeldung ohnehin sehr spät dran war. Die Inspektorin lehnte die Nebenstraßenroute jedoch ab: «Durch diese kleinen Straßen? Da sieht Sie doch keiner. Und es reisen bestimmt Demonstranten von außerhalb an, die sollen ja auch was von unserer schönen Stadt zu sehen kriegen.»
So legte die Inspektorin, die offenbar eng mit der städtischen Tourismusbehörde zusammenarbeitete, eine abwechslungsreiche Sightseeing-Strecke fest, vorbei an den schönsten Sehenswürdigkeiten der Stadt: Alte Oper, Hauptwache, Konstablerwache, Paulskirche, und überall durften wir auch mal kurz pausieren.
Allein die geplante Abschlusskundgebung auf dem Römer habe sie uns nicht garantieren können, berichtete aufgewühlt der Landeschef, weil am gleichen Tag noch drei weitere Demonstrationen unterwegs seien – darunter eine von Exil-Iranern. Die nun vor uns her demonstrierten. Immer wieder hörte man ihr wütendes Gebrüll und sah schwingende Fäuste. Mehrmals stoppte uns die Polizei, wir dürften «aus Sicherheitsgründen» auf keinen Fall ins Heck der Wut-Perser geraten.
Wie ein Hütehund umschnürte der Landesvorsitzende pausenlos unseren Trail, trieb alle zusammen und achtete darauf, dass die vielen Polizeifahrzeuge, die uns begleiteten – Busse, Streifenwagen und schicke Motorräder –, auch das Blaulicht eingeschaltet hatten, um auf uns aufmerksam zu machen. Die Leute am Straßenrand schauten uns hinterher, die einen nachdenklich, die anderen amüsiert, manche fotografierten.
Ein kleiner Mann stellte sich mir als Altsponti vor und wollte auch mal das Megaphon haben. «Ich war bei der Gründung der hessischen Grünen dabei», berichtete er stolz. Mit «dem Joschka» habe er hier, auf dieser Straße demonstriert, Ho-Ho-Ho-Chi-Minh! gerufen und Randale, Bambule / Frankfurter Schule. Und die Bullen platt wie Stullen gehauen. «Der Joschka hat’s ihnen ordentlich besorgt», lachte er noch – dann verfinsterte sich sein Gesicht. «Aber bald ist der Joschka Karrierist und Mitläufer geworden, ich hab den Niedergang der Grünen von der ökologischen Oppositionspartei zur opportunistischen Kriegspartei miterlebt und bin angewidert ausgestiegen.» Sprach’s, stellte das Mikro scharf und
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