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Mein Wahlkampf (German Edition)

Mein Wahlkampf (German Edition)

Titel: Mein Wahlkampf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Maria Schmitt
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Eintracht wegen Erfolglosigkeit aufgelöst wird.»
    Nie habe ich spontaner und aus vollerer Überzeugung widerrufen als dort und in diesem Moment am Wasserhäuschen vor Raphael und seinen Kumpelinos. «Dieser Programmpunkt war falsch formuliert», log ich, «den Verantwortlichen habe ich bereits entlassen. Wenn ihr mich wählt, dann wird die Eintracht nicht nur nicht aufgelöst, sondern sogar per Dekret an die Tabellenspitze befördert! Darauf mein Ehrenwort!»
    Ab sofort waren wir allerbeste Kumpels, auf die «Frankfurt Hools» könne ich mich jederzeit verlassen, schwor der Raphael und zeigte mir anschließend noch ein paar Tricks: Wie man beispielsweise Feuerwerkskörper an den Sicherheitskontrollen vorbei ins Stadion schmuggelte.

    Inzwischen war unser tapferer Demonstrationszug auf der Zeil angekommen, Deutschlands umsatzstärkster Einkaufsmeile. Hier wird die heroische Schlacht um Rabatte und Payback-Punkte jeden Tag neu geschlagen. Den erschöpften Konsumenten, die plastiktütenbewehrt aus den Kaufhäusern quollen, riefen wir zu: Bürger, lasst das Shoppen sein / Wählt den Schmitt und reiht euch ein!
    Immer wieder wurden wir von der Polizei gestoppt, weil die wütenden Iraner vor lauter Wut immer langsamer wurden. Überholen durften wir nicht, also vertrieben wir uns die Zeit mit dem Johlen von Parolen.
    Ich übergab das Megaphon einem Pärchen mit Metall im Gesicht. Zuvor hatten sie voller Stolz von den «Anti-G8-Demos» berichtet, bei denen sie mitgelaufen seien. Für die Macht der Reichen / gehn sie über Leichen , riefen sie, was ich in der Bankenstadt Frankfurt ganz passend fand. Und als sie Ob Sonne oder Regen / Wir sind dagegen durch den Kaufhauscanyon hallen ließen, hatte ich sie bereits in mein Herz geschlossen. Danach kam Genua, das war Mord / Widerstand an jedem Ort. Ich hatte zwar keine Ahnung, was in Genua genau war, aber es würde bestimmt seine Richtigkeit haben. Wo, wo, wo wart ihr in Rostock? Da fühlte ich mich sogar persönlich betroffen, denn ich wusste auch nicht mehr, wo ich in Rostock war, als ich mal in Rostock war. Vermutlich Rathaus, Petrikirche, Kempowski-Archiv, die üblichen Geschichten eben.
    Schließlich waren die beiden leergebrüllt, und ich musste wieder ran: Bürger, runter vom Balkon / Unterstützt den Vietcong , schrie ich wie von Sinnen, als wir uns der Paulskirche näherten, der Wiege der deutschen Demokratie und Sitz des ersten Parlaments. Dort schoss eine von der PARTEI-Zentrale entsandte Demo-Fotografin namens Moppel unvergessliche Bilder von jungen Revolutionären, die meine Wahlplakate schwenkten. Aufs Neue war ich fasziniert: Da liefen juvenile, hoffnungsfrohe Menschen durch die Stadt, die ich nicht kannte, und sie trugen Transparente und Plakate mit meinem Konterfei. Mir war noch immer nicht klar, warum sie das taten. Was hatten sie davon? Fanden sie meine Wahlplakate besser als die meiner Konkurrenten? Oder war meine Birne, die da durch die Gegend strahlte, in ihren Augen einfach nur eine weitere Charaktermaske in einem Plakatemeer aus Fratzen und Politfressen?
    Doch Selbstzweifel waren jetzt nicht angebracht. Der Aktivist drückte mir wieder das Megaphon in die Hand und deutete hinüber zum Römer. Er war voller Menschen – voller wütender Menschen aus dem Iran, die ihre Verzweiflung hinausbrüllten und keinerlei Anstalten machten, diesen so wichtigen Platz für uns zu räumen. Unsere Polizeieskorte hatte sich inzwischen verzogen, denn mit der Paulskirche hatte unser Demonstrationszug sein offizielles Ziel erreicht.
    «Kommt mit», sagte der Rotschopf und schob mich Richtung Römer. «Wir mischen jetzt mal die Iraner auf. Brüll irgendwas!»
    «Was denn?»
    «Scheißegal – irgendwas!»
    Ich nahm das Megaphonmikro fest in die Hand und drückte den Knopf.
    Im Iran bin ich der Hit / Aya-Aya-tollah Schmitt!
    Ich weiß nicht, warum ich das rief – aber ich rief es. Immer wieder: Im Iran bin ich der Hit / Aya-Aya-tollah Schmitt!
    Dann war da wieder dieser Ruck. Der aber nicht durch Deutschland, sondern durch die Menge der Iran-Protestierer ging. Hunderte schwarzhaarige Köpfe drehten sich zu uns um. Und während meine Charaktermaske abermals ein Aya-Aya-tollah Schmitt! rief, rannten die Körper, auf denen die Schwarzköpfe saßen, auf uns zu. Der Aktivist konnte gerade noch rufen: «Nichts wie weg, Mann! Prügelperser!»
    Dann war er verschwunden.

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