Mein Wahlkampf (German Edition)
natürlich die Rentenpolitik. Ich habe jedoch absolut keine Scheu, auch das anzufassen und endlich für klare Verhältnisse zu sorgen. Die Rentner sollten sehr genau aufpassen, dass sie mit ihren überzogenen Forderungen den Bogen nicht überspannen. Eine Rente, zwei neue Knie, drei Bypässe und vier künstliche Hüftgelenke (weil die ersten schon wieder ausgeleiert sind), fünfmal im Jahr auf Kreuzfahrt gehen, Urlaub auf Sylt und Überwintern auf Mallorca und immer die neuesten Rollatoren und die dicksten Seniorenhandys, und wir dürfen das alles immer schön bezahlen – das kann es ja irgendwie auch nicht sein. Sollten die Rentner hier nicht bald Mäßigung und Einsicht zeigen, werden sie von mir kurzerhand wieder an ihre alten Arbeitsplätze zurückgeschickt und mit neuen Verträgen ausgestattet, Stichwort «Rente mit siebenundsechzig». Damit sind allerdings nicht Jahre, sondern Euro gemeint. Dann können sie mal mit siebenundsechzig Euro im Monat sehen, was Altersarmut wirklich bedeutet.
Für meine eigenen Altersbezüge werde ich natürlich selbst sorgen. Ich möchte dem Staat wirklich nicht auf der Tasche liegen, zumal dieser nach meinen zwei bis maximal drei Amtszeiten ohnehin geplündert sein wird. Finanzieren werde ich meinen Lebensabend vor allem mit Vortragsreisen, und da wird dann auch richtig zugelangt. Ich lasse mich nicht mit Almosen von Schrotthändlern und Hotelzimmergutscheinen abspeisen wie der Wulff. Also werde ich einfach ein paar Vortragsmanuskripte aus dem Büro von Peer Steinbrück zusammenklauen lassen, die dieser wiederum aus ein paar alten Buchvorworten hat zusammenklauen lassen. Kompetente Vorträge für die Ohren von kompetenten Wasserwirtschaftsamtsleitern und Sparkassendirektoren, die bis heute nichts von ihrer Überflüssigkeit eingebüßt haben. An Steinbrücks Gebührenmodell werde ich mich nur bedingt orientieren. Eine kurze Begrüßung an Werktagen kostet bei ihm hundertzwanzig Euro, an Feier- und Parteitagen mit Parteizusatz («Guten Tag, Genossen») gute zweihundert. Selbstgespräche stellt er seiner Partei ebenfalls in Rechnung. Das alles ist zwar nur recht und billig, vor allem aber zu billig. Langfristig kann hier nur Bill Clinton das Maß aller Dinge sein. Wenn der ehemalige amerikanische Präsident mit der rührenden Schwäche für pummelige Praktikantinnen bei der Jahreshauptversammlung der Vereinigung Texanischer Zahnärzte einen Vortrag zum Thema «Chancen und Herausforderungen der Demokratie» hält und dabei, wie fast immer, nur das Vorwort seiner angejahrten Autobiographie vorliest, dann verbucht er damit mittlerweile Jahreseinkünfte von über dreizehn Millionen Dollar. Für ein mickriges Steinbrück-Vortragshonorar von fünfzehntausend Euro würde Clinton nicht mal ans Telefon gehen. Seit dem Ende seiner Amtszeit 2001 hat der stets gut frisierte Präsidentendarsteller über fünfundsechzig Millionen Dollar für Vorträge kassiert, im Schnitt kostet das Ablesen seines Vorworttextes mindestens zweihunderttausend Dollar. Da muss ich auch hin. Zumal ich am Ende meiner drei, vielleicht doch sogar vier Amtszeiten auf einige spektakuläre Reformerfolge werde zurückblicken können.
Umweltpolitik wird erstmals zum Wohle der Umwelt gemacht, Wirtschaftspolitik für die Wirtschaft und Realpolitik für die Realschüler, für die tut ja sonst keiner was. Die bereits bundesweit agierenden Gleichstellungsbeauftragten werden zu Gleichrichtern ernannt, die Homo-Ehe wird sogar noch über die Hetero-Kiste gestellt, und Priester dürfen endlich mit ihren Ministranten zusammenwohnen. Allerdings nicht gemischtkonfessionell, das wäre ja noch schöner! Überkommene Einrichtungen wie etwa die Getränke-, Salz- oder Schaumweinsteuer werden von mir zu einer einzigen neuen Steuer zusammengefasst, die dann «Neue, von mir zusammengefasste Getränke-, Salz- und Schaumweinsteuer» heißen wird. Um unangenehme kritische Nachfragen zu Detailproblemen bereits im Keim zu ersticken, verweise ich schon jetzt auf eine sehr verwirrende Bundesdrucksache mit zahlreichen Tabellen und Graphiken, die voraussichtlich im Herbst oder im Herbst der nächsten Legislaturperiode erscheinen wird.
Da man als designierter Regierungschef auch immer mit einem spektakulären Schattenkabinett aufwarten sollte, habe ich dieses Kabinett bereits gebildet. Es wird eine sogenannte «Expertenregierung» sein, wie sie auch Mario Monti in Italien mit großem Erfolg aufgestellt hat; immerhin war sie dort ein ganzes Jahr im Amt,
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