Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
Talent, Belesenheit und Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem. Und so seltsam es scheint: Bei all seinen charakterlichen Besonderheiten, die den Umgang mit ihm schwierig machten, gestaltete sich sein beruflicher Kontakt zu ausländischen Kollegen – Amerikanern, Franzosen und anderen – doch besser als bei allen anderen. Christian Michel zum Beispiel hält Lebedew für »das Organisationsgenie. Er mochte es, wenn alles wie eine gut geölte Maschine lief«.
Von ausländischen Journalisten in Moskau bekam ich bisweilen auch wenig Schmeichelhaftes über Lebedew zu hören. Einer von ihnen erzählte, Lebedew habe ihn direkt bedroht. Lebedews Kollegen meinen, das sei ausgeschlossen. Manche halten es zwar für möglich, dass ihm im Streit etwas herausgerutscht sein könnte, irgendeine schroffe Bemerkung zum Beispiel, aber keine echte Drohung.
Michail Brudno: »Er hat einen fürchterlichen Charakter. Und er hat eine echte, klinische Dyslexie. Ihn zu verstehen, war absolut unmöglich, selbst für uns – und für alle anderen erst recht. Das ändert nichts an seinem Talent und seinen ausgezeichneten unternehmerischen Qualitäten, aber ihn zu verstehen war eine Aufgabe für sich. Als ich seine Beiträge vor Gericht las, war ich verblüfft, wie kohärent sie waren, inhaltlich wie formal. Früher gehörte das nicht zu seinen Spezialitäten. Ich vermute, den Journalisten dürfte es ziemlich schwer gefallen sein, mit ihm zu kommunizieren. Zumal er Gespräche gern damit begann, dass er sein Gegenüber demütigte. Das war so eine Manier, eine unbewusste, vermute ich.«
Den Journalisten dürfte dieses Verhalten kaum imponiert haben. Vor Gericht aber, wo Lebedew weitaus aggressiver und härter auftrat als Chodorkowski, wirkte die Schärfe dieses Menschen, der in einem Käfig saß und von dort seine Ankläger unermüdlich mit Ironie und Spott überzog, bestechend; sie weckte Bewunderung und uneingeschränkten Respekt.
Etwa zur selben Zeit, in der Frühphase der Gründung der Bank, schloss sich ein weiterer künftiger Gesellschafter der Gruppe an: Alexej Golubowitsch. Golubowitsch ist fast genauso alt wie Chodorkowski. Er hat die Plechanow-Akademie in Wirtschaftskybernetik abgeschlossen. Chodorkowski lernte er an einem Institut der Akademie kennen, wo er Methoden zur Bewertung der Effektivität von Investitionen in forschungsintensive Projekte untersuchte. Namentlich seine Qualitäten als Investitionsexperte wusste Chodorkowski später sehr zu schätzen. Die Zusammenarbeit der beiden begann schon in der Gründungsphase der Bank.
Alexej Golubowitsch: »Chodorkowski machte insgesamt einen positiven Eindruck auf mich; was ihn von meinen Bekannten aus dem wissenschaftlichen Umfeld unterschied, war sein stärker ausgeprägter Unternehmergeist, seine Energie. Gleichzeitig war er unübersehbar eine Führungspersönlichkeit, ein reizender Mensch und ein ›Energievampir‹ – im guten Sinne, wenn man das so ausdrücken kann. Das war in etwa mein Eindruck von ihm. Wahrscheinlich bot er mir einfach deshalb eine Arbeit an, weil er, mit seiner guten Intuition, sich all die Leute zusammensuchte, die ihm nützlich sein konnten: Dubow, Manzewitsch, Peregudow, Monachow, Worobjow, Dachajew, Talyschinski, Kerson und weitere Manager der ›Gruppe‹ in jener Zeit.«
Golubowitsch gibt zu, dass Chodorkowski für ihn, nach seiner Erfahrung im akademischen Milieu, ein strengerer Chef war, als er es sich gewünscht hätte. Dafür »mischte er sich nicht in die laufenden Vorgänge ein und störte mich kaum bei der Arbeit«.
Golubowitsch war später der einzige Gesellschafter der Menatep-Gruppe, der sich auf eine Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden einließ und als Zeuge der Anklage gegen Chodorkowski und Lebedew aussagte. Ich hatte, ehrlich gesagt, nicht sehr damit gerechnet, dass er bereit wäre, mit mir über Chodorkowski zu sprechen. Aber dann erzählte er doch von damals, und zwar im Ganzen durchaus wohlwollend. Golubowitsch hält Chodorkowski für »hoch leistungsfähig, wenn auch nicht ganz so leistungsfähig wie einige westliche Top-Manager, die speziell in den Methoden der Arbeitseffektivität geschult sind«. Er selbst assoziiert Chodorkowski nicht mit einem wandelnden Computer, er habe aber »weniger als andere mir bekannte russische Großunternehmer einen Hang zu langen Gesprächen, zur Vermischung von geschäftlichen Treffen mit Freizeitaktivitäten, ›rituellen‹ Veranstaltungen, PR-Begegnungen und sonstigem wenig ergiebigem
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