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Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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Schaffung universitärer Wissenschaftszentren, die so organisiert und gelegen sein sollten, dass sie die besten Köpfe der Welt anlocken.
    Wir müssen eine kommunale und soziale Infrastruktur, einschließlich Straßen, Flughäfen und Kommunikationsverbindungen aufbauen und den Wohnungsbestand sanieren und erneuern, um den Menschen eine gewisse Lebensqualität zu sichern und das Problem der großen Entfernungen und klimatischen Verhältnisse auszugleichen.
    Wir müssen bestrebt sein, in unserem Land Produktionskapazitäten zu schaffen, die die Einführung und Verbreitung der neuesten technologischen Errungenschaften ermöglichen. Damit meine ich jedoch nicht das gesamte Spektrum von Waren, in denen diese technologischen Errungenschaften zur Anwendung kommen, sondern die Technologien selbst. Das gilt insbesondere dann, wenn für die Herstellung solcher Waren Produktionskapazitäten geschaffen werden müssen, die in der Folge (aus ökonomischen oder technologischen Gründen) nicht so bald erneuert werden können.
    Wir müssen die Menschen davon überzeugen, nicht nach mehr Konsum materieller Ressourcen, sondern nach einer hohen Lebensqualität zu streben. Lebensqualität nach einem neuen, modernen, intelligenten Verständnis.
    Gerade deshalb sehe ich die Bildung als einen eigenständigen Wert an. Ich bin sicher, dass es eine wichtigere und notwendigere Errungenschaft wäre, wenn 80 Prozent der Menschen im Land eine »wirkliche« Hochschulbildung erhielten, als wenn 80 Prozent der Menschen ein Auto besäßen; den Versuch dagegen, die sowjetische Industriestruktur und, passend dazu, das sowjetische Massensystem der staatlichen Berufsschulen als Alternative zu einer breit angelegten Bildung wiederaufzubauen, halte ich für einen Fehler (selbst wenn man damit ein früheres amerikanisches Vorbild aufgreifen würde).
    Menschen mit niedrigem Bildungsniveau wird es freilich immer geben, und es wird auch immer Berufe geben, die rein mechanische Tätigkeiten erfordern. Aber: Erstens ist es an uns, dafür zu sorgen, dass wir möglichst wenig Arbeitsplätze dieser Art haben. Zweitens können auch Hausmeister, Heizer und Dreher hochqualifizierte Arbeitskräfte mit breit gefächerten geistigen Ansprüchen sein, die ihr kreatives Potenzial anderweitig, außerhalb ihrer Arbeit verwirklichen und keineswegs »Knöpfchen drückende Halb-Analphabeten« sind.
    Es passt natürlich nicht zu unserer auf den wachsenden Konsum materieller Ressourcen abgestellten Industriekultur, wenn man Menschen darin unterstützt, einen Hochschulabschluss zu erlangen, den sie in ihrem beruflichen Umfeld niemals brauchen werden, oder in ihnen den Wunsch nach Erfolgen dieser Art weckt. Es widerspricht dieser sogar.
    Nach den bisherigen Vorstellungen war es optimal, wenn man für eine neue Maschine einen Arbeiter mit zwei Jahren Schulbildung brauchte, und es war dumm, dort einen Historiker oder Kunstwissenschaftler hinzustellen. Aber diesen Menschen einen Hamburger »reinzustopfen«, einen neuen Pelz oder ein neues, viel Benzin fressendes Auto aufzuschwatzen, galt als »klug«, als der »richtige Anreiz«, der für eine Steigerung des BIP sorgte.
    Also muss man das Paradigma ändern. Und Russland hat die Möglichkeit, das zu tun.
    Im Bereich der Wirtschaft bin ich Verfechter einer staatlichen Industriepolitik, die auf die Entwicklung der sozialen Infrastruktur und einer Wissensökonomie ausgerichtet ist.
    Kommen wir aber nun zum Problem der Zivilgesellschaft, wo die Lage am desolatesten ist.
    Unsere Gesellschaft ist extrem »automatisiert«. Wir sind es nicht gewohnt, einander zu vertrauen, ohne die ordnende Hand der Staatsmacht zu handeln oder gemeinsam unsere Rechte zu verteidigen. Entsprechende gesellschaftliche Strukturen und Institutionen fehlen.
    Das war nicht immer so, aber die Jahre nach der Revolution waren zutiefst prägend. Die Wirksamkeit der Machtvertikale ist unter den gegenwärtigen Bedingungen nur gering (eine einheitliche »Machtvertikale« wird an sich schon unserem riesigen Territorium, der Vielfalt der Alltagskultur und den Bedürfnissen der postindustriellen Entwicklung nicht gerecht). Das Fehlen starker »horizontaler« Verknüpfungen in der Gesellschaft birgt somit ernste Risiken für die Zukunft des Landes.
    Die Staatsmacht betrachtet die unabhängigen zivilgesellschaftlichen Institutionen ausschließlich als Konkurrenten (die sie zweifelsfrei auch sind), ohne dabei zu sehen, dass sie absolut notwendig und unersetzlich sind. Versuche, sie

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