Mein Weg mit Buddha
später in unserem Haushalt Einzug. Es gab eine schlichte Feier, bei der ich – als »nicht-praktizierendes Wesen« – gebeten wurde, dieses »Objekt der Verehrung« mit Respekt zu behandeln. Mein lieber Mann, die nahmen’s aber genau! »Schlechte Erfahrungen«, wurde mir als Begründung mitgeteilt. Das konnte ich nicht wirklich nachvollziehen. Wahrscheinlich, weil Toleranz für mich selbstverständlich ist.
Auch wenn ich damals bei der Zeremonie nur zusah, beeindruckte mich die Ernsthaftigkeit dieser Menschen, ihren Glauben zu leben, schwer. Und ich nahm, soweit es mein beruflicher Terminkalender zuließ, weiterhin an den monatlichen Gruppenversammlungen teil.
Ich erinnere mich gern an die Zusammenkünfte bei M. in Paris. Die Mitglieder der Organisation setzen auf Kommunikation und das reziproke Lernen voneinander statt auf die traditionelle Einbahnstraße von der Kanzel herab zur Gemeinde, wie ich es in der christlichen Kirche erlebt hatte. Dialog ist das Credo für eine friedliche Gesellschaft. Es gibt im Buddhismus das Prinzip von Meister und Schüler – und diese befruchten sich gegenseitig. Der Schüler bemüht sich, mit seinem Meister eins zu sein, das Gleiche gilt aber auch für den Meister. Ohne seinen Schüler ist er nichts. Beide bilden im Herzen eine Einheit.
»Ich denke, es geht nicht darum zu verstehen! Jetzt also doch Theorie?«, warf ich bei einer der Versammlungen in die Runde.
»Buddhismus ist Vernunft«, gab der damalige Verantwortliche der Organisation in Frankreich zur Antwort. »Buddhismus bedeutet, das Leben in seiner ganzen Komplexität zu verstehen. Dennoch ist Chanten das Wichtigste. Man muss den Buddhismus ebenso wenig verstehen wie ein Auto. Man kann trotzdem damit fahren. Aber es schadet nicht, wenn man ein bisschen was über den Motor weiß.«
»Oder man denke an ein Medikament«, sagte M. »Ich muss den Beipackzettel nicht lesen, damit es wirkt! Aber ich muss es nehmen! Si non, ça n’marche pas – sonst ist es wirkungslos!«
»Das stimmt!«, setzte ein weiterer Anwesender noch eins drauf. »Es hilft auch, glaube ich, nichts, wenn ich den Beipackzettel esse!« Allgemeines Gelächter. Es ging bei den Versammlungen nicht bloß »bierernst« und schon gar nicht »heilig« zu. Wie schön! Sehr häufig waren an diesen Abenden interessante Menschen dabei, mit spannenden Geschichten, aus allen sozialen Schichten. Oft haben wir uns mit 20 bis 30 Leuten in das kleine Zimmer gequetscht, das nur diesem Zwecke diente und in dem sich außer ein paar Stühlen und dem schwarzen, goldbeschlagenen Schrein, in dem der Gohonson hing, keine weitere Möbel befanden. Man traf sich zum »Chanten« und um die Zeremonie des »Gongyo« zu vollziehen. Dieses Gebet ist eine Art Mantra aufeinanderfolgender Texte in Altjapanisch, verbunden mit verschiedenen stillen Gebeten. Dazwischen wurde in Dauerwiederholung der Satz Nam Myoho Renge Kyo in einem bestimmten, gleichmäßigen Rhythmus gesagt – wie ein Sprechgesang, an besonderen Tagen auch als stundenlange »Gebetskette«, von morgens bis abends, manchmal auch rund um die Uhr. Ein Wahnsinn! Supermühsam! Gebetsmühlenartig. Das sollte wirklich helfen und etwas bewegen? Ich hatte diesbezüglich noch ernsthafte Zweifel.
Heute weiß ich natürlich um die enorme Kraft, die das Dauerchanten hervorbringen kann. Und niemand tut das einfach »nur so«. Das macht man, wenn im Leben dringend etwas verändert werden muss. Und mit der Kraft des Chantens kann man etwas bewegen, wenn man sich ordentlich anstrengt. Ich behaupte nicht, dass das leicht ist …
Zum Chanten war ich damals allerdings noch nicht bereit. Bei den Versammlungen interessierte mich in der Hauptsache das »Dahinter«, die Lehre, die Philosophie. Ich mag zwar generell keine Klubs und Vereine, aber die Organisation erschien mir ganz locker. Sie war für mich irgendwo zwischen Schule, Diskussionsrunde und gruppendynamischer Erfahrung angesiedelt. Also lauschte ich den Erfahrungsberichten von wildfremden Menschen, die mit der buddhistischen Praxis unglaubliche Schwierigkeiten überwunden hatten – Lebenskrisen, die Zerstörung der Existenz, Tod, Verlust, Krankheit und dergleichen – auf dem Weg zu ihrem ganz persönlichen Glück.
Manche Geschichten rührten zu Tränen, andere waren spannend wie ein Krimi oder großartig wie ein Hollywood-Drama.
Ehrlich. Die Mitglieder sind keine Leute, die sich unglaublich aufspielen, um zu beeindrucken. Denn es ist alles andere als leicht – das weiß ich
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