Mein wildes Herz
länger. Nachdem Krista draußen tagelang Seite an Seite mit ihnen gearbeitet hatte, behandelten sie sie jetzt schon fast wie eine der ihren. Doch Leifs Schwester verstand immer noch nicht, warum Krista sich weigerte, ihren Bruder zu heiraten.
„Liebst du einen anderen Mann?“, fragte sie, als sie vor den Webstühlen saßen und Runa ihr wieder einmal zeigte, wie Krista das Specksteinschiffchen durch die Fäden vor und zurück zu führen hatte.
„Ich liebe deinen Bruder, aber ich gehöre nicht hierher. Dort in England, wo ich herkomme, habe ich ein eigenes Leben. Und ich habe Pflichten und Verantwortung zu tragen, so wie Leif hier.“
„Was für Pflichten?“
Krista wusste nicht, wie sie ihr die Arbeit in der Zeitung und ihre Verpflichtung ihrem Vater und Großvater gegenüber erklären sollte. Mit ihrem begrenzten Wortschatz eine Welt zu erklären, die so ganz anders war als die, welche Runa kannte, war so gut wie unmöglich. Trotzdem versuchte sie ihr Bestes.
Als sie geendet hatte, schien Runa über ihre Worte nachzudenken. „Der Ort, den du da beschreibst – er erscheint mir so unwirklich.“
„Er ist sehr wirklich. Du kannst deinen Bruder fragen.“
„Er hätte noch viel von seiner Reise zu erzählen, aber ich glaube, irgendwie spricht er nicht gerne darüber.“
„Er war dabei, sich dort einen Platz zu erobern. Es war erstaunlich, wie gut er sich in die Gesellschaft einfügte.“
„Sein Leben ist hier auf Draugr. Er sagt, auch du gehörst hierher.“ Runa richtete die grauen Augen auf Kristas Gesicht. „Manchmal bescheren die Götter uns ein anderes Leben, als wir es uns wünschen. Vielleicht ist es bei dir so.“
„Das glaube ich nicht. Vielmehr denke ich, Leif beging einen Fehler, als er mich hierher brachte. Und ich glaube ganz und gar nicht, dass es der Wille der Götter war.“
Runa erstarrte.„Mein Bruder ist Chief. Wenn er sagt, du wurdest ihm zur Braut bestimmt, dann ist das so.“
„Was wäre, wenn du gezwungen würdest, einen Mann zu heiraten, den du nicht heiraten willst?“
„Du liebst ihn. Das hast du gesagt.“
„Ja, aber ich werde zu Hause gebraucht.“
„Vielleicht braucht mein Bruder dich mehr.“
Krista zog sich das Herz zusammen. Was, wenn es so war? Was, wenn sie sich irrte, und ihr Schicksal lag doch hier auf der Insel, zusammen mit Leif? Fast wünschte sie, sie könnte sich das einreden.
Die Frauen unterhielten sich noch eine Weile, doch jetzt über weniger persönliche Dinge. Sie sprachen über das Wetter und wie sie sich auf die vor ihnen liegenden kälteren Monate vorzubereiten hatten. Dann erhob sich Runa, verließ die Webstube, und Krista nahm ihren Platz am Webstuhl ein. Das Schiffchen vor und zurück durch die Fäden zu bewegen war eine einfache Aufgabe, die sie zumindest eine Weile lang beschäftigte, wofür sie dankbar war.
Trotzdem schweiften ihre Gedanken immer wieder zu Leif, und sie fragte sich, wann er wohl zurückkehren würde. Er hatte Jamie Suthers, der jetzt in der Scheune arbeitete, vor einiger Zeit zu ihr geschickt und ihr sagen lassen, er wäre in die Hügel geritten, würde aber vor Einbruch der Nacht zurück sein. Sie wusste, dass er sich an diesem Morgen mit dem Ältestenrat getroffen hatte. Doch bis jetzt kannte keiner das Ergebnis des Treffens.
Krista betete, dass sie sich für Leifs Vorschlag entschieden hatten. Sein Schiff würde zwischen Draugr und England hin und her segeln, und früher oder später würde sie ihn überreden können, sie nach Hause zu bringen. Als die Stunden vergingen, konnte sie es kaum noch abwarten, das Ergebnis zu hören. Doch am Ende des Tages war er immer noch nicht heimgekehrt.
Eher müde wegen der Sorgen als wegen ihrer monotonen Arbeit, verließ Krista die Webstube und ging zurück in ihr Schlafzimmer. Der Stapel weicher Pelzdecken lockte, und sie legte sich nieder, um vor dem Abendessen ein kleines Nickerchen zu machen. Bald war sie in einen unruhigen Schlaf gefallen.
Krista war wieder zu Hause. Sie arbeitete mit Coralee in der Redaktion und machte die Wochenausgabe fertig, damit sie am nächsten Tag auf die Wagen geladen werden konnte. Die fertigen Seiten von Heart to Heart wurden aus der Presse genommen und in den Gemeinschaftsraum getragen, um dort gebündelt zu werden. Ihr Vater war oben in seinem provisorischen Arbeitszimmer und wartete geduldig darauf, bis sie fertig war und er sie nach Hause begleiten konnte.
„Dein Artikel in dieser Woche gefäll mir“, sagte Corrie zu ihr und sah auf
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