Mein wildes Herz
überprüfen das Schiff, ob es fahrtüchtig ist. Ich bringe dich zu ihnen.“
Krista ging neben Runa den kurzen Weg durch das Tal, und schließlich erreichten sie den Lehmpfad, der den Hang hinunter zum Meer führte. Kaum hatten sie auf der Klippe den Schutz der Berge hinter sich gelassen, traf Krista die eisige Meeresbrise, ließ ihren Mantel flattern und zerrte an ihren Haaren, die sie im Nacken mit einem Band zusammengefasst hatte. Schützend schlang sie den Mantel enger um sich und folgte dem Weg hinunter zum Fuß der Klippe.
In der schmalen Bucht war es windstill, da der kleine Ankerplatz fast völlig verdeckt war von hohen Felsen. Krista konnte unten das Schiff sehen und entdeckte Leif, der zusammen mit dem Captain und seinen Männern arbeitete. Ihr Herz krampfte sich vor Liebe zu ihm zusammen.
Als sie und Runa die Bucht erreichten, ruderte Leif gerade das kleine Beiboot ans Ufer. Krista erblickte die kleine Gruppe, die sich versammelt hatte, um ihn zu verabschieden. Leifs Brüder Thor und Eirik und sein Onkel Sigurd waren darunter.
Als Leif aus dem Boot sprang und es auf den Sand zog, sprang Thor hinzu, um ihm zu helfen. Erstaunt stellte Krista fest, dass er sich den dichten Bart abrasiert hatte. Da er dabei anscheinend bei Weitem nicht so geschickt war wie Leif, zeigte sein hübsches Gesicht hier und da Kratzer, und an der Kehle hatte er ein oder zwei Schnitte.
„Ich möchte mit dir fahren“, sagte Thor. „Ich habe lange darüber nachgedacht. Wie du möchte ich Neues sehen und lernen.“
Leif musterte Thors frisch rasiertes Gesicht. „England ist ein schwieriger Ort für Ausländer, Bruder.“
„Und doch wolltest du dorthin zurückkehren und hast selbst vor dem Rat darüber gesprochen.“
„Ich habe mich getäuscht.“
„Trotzdem möchte ich diese neue Welt sehen, die du entdeckt hast.“
Leif sah zu Krista. „Glaubst du, der Professor würde Thor unterrichten, wie er mich unterrichtete?“
Krista wusste, dass ihr Vater über die Gelegenheit, seine Studien fortsetzen zu können, begeistert sein würde und nickte. „Sicher wird er es tun.“
„Hier gibt es nichts für mich“, drängte Thor. „Ich habe keine Frau und anders als du auch keine Pflichten, die mich zwingen zu bleiben.“
Leif wandte den Blick ab. „Dir steht es frei zu gehen. Doch hier ist dein Zuhause. Bist du dir sicher, dass du es wirklich verlassen willst?“
„Ich bin mir sicher.“
„Die Sea Dragon ist gut gebaut und seetüchtig, nicht wie das Schiff, das wir zuvor zu segeln versuchten. Wenn du dir sicher bist, nehme ich dich mit.“
Thor zeigte ein strahlendes Grinsen.
Da trat Sigurd auf sie zu. Krista sah, dass er einen geschnitzten Holzkasten in den Händen hielt. „Ich habe etwas, das ich dir gerne mitgeben möchte“, sagte er zu Leif.
„Was ist es?“
„Wenn du in England bist und immer noch Zweifel hast, ob du nach Draugr zurückkehren sollst, möchte ich, dass du den Kasten öffnest. Wenn du es tust, wirst du wissen, warum ich ihn dir gab.“
„Ich habe eine Pflicht, Onkel.“
„Nimm die Schachtel“, sagte Sigurd. „Öffne sie nur, wenn deine Zweifel wiederkehren.“
Leif antwortete mit einem kurzen Nicken. Als die Männer Anstalten machten, das Boot wieder zum Schiff zurückzurudern, sah Krista zu Runa, die die Hand ausstreckte und Kristas Hand festhielt.
„Leb wohl, Schwester“, sagte sie. „Ich bete, dass die Götter dir helfen, den richtigen Weg zu finden.“
Krista stiegen Tränen in die Augen. Spontan nahm sie das schlanke rothaarige Mädchen in die Arme, das ihr inzwischen zur Freundin geworden war. „Mögen die Götter dich schützen und leiten“, sagte sie. Dann wandte sie sich ab und ging zu den Männern.
Leif nahm ihr kleines Bündel entgegen und half ihr ins Boot. Als Krista seinen Blick auffing, entdeckte sie tiefe Traurigkeit, Verlorenheit und Bedauern in seinen Augen – den gleichen Schmerz, den auch sie fühlte.
Es war Zeit aufzubrechen. Krista fragte sich, wie sie es wohl überleben würde, wenn Leif sie in England zurückließ und ohne sie in seine Heimat zurückkehrte.
27. KAPITEL
Müde lehnte Coralee sich in die Samtpolster der Kutsche zurück. Es war erst Dienstag, doch wie in der Nacht zuvor und in allen Nächten der vergangenen Woche hatte sie noch bis spät in der Redaktion gearbeitet. Die Ausgabe der letzten Woche war am Samstag verteilt worden. Getreu zu seinem Wort stehend, hatte Professor Hart ihr geholfen, einen Leitartikel zur Unterstützung der
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