Mein wildes Herz
war ein Mädchen aus der Stadt, und dies hier war kein Ort, an dem sie glücklich leben konnte. Sie gingen das Tal entlang, bis sie eine Ansammlung von Gebäuden erspähte, die von niedrigen Hügeln eingeschlossen wurde.
In den Büchern ihres Vaters hatte Krista Zeichnungen der Überreste von Wikingersiedlungen gesehen, die man auf den Orkneys, den Shetlands, in Irland und in Schottland entdeckt hatte. Sie wusste, wie solche Siedlungen aussahen, und diese hier passte perfekt ins Bild.
„In unserem Clan haben wir neunzig Höfe. Der Bauernhof meiner Familie ist der größte. Wir bauen das meiste Korn an, züchten die meisten Rinder und beschäftigen die meisten Arbeiter. In vergangenen Zeiten besaßen wir auch Sklaven, doch nachdem die Priester unsere Vorfahren davon überzeugten, dass Sklaverei gegen den Willen der Götter ist, begannen wir, unsere Arbeiter zu bezahlen. Und seitdem ist es dabei auch geblieben.“
Vor ihr erstreckte sich der Bauernhof; er war größer, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Die Gebäude waren rund um ein Langhaus angelegt, das mindestens hundert Fuß maß. Sie waren aus Stein und Rasensoden errichtet, einige waren in die Hügel hineingebaut. Alle besaßen mit Soden oder Stroh gedeckte Dächer.
„Da drüben ist ein Schmied, und das ist die Scheune, in der wir Heu und Korn aufbewahren, das wir brauchen, um Brot zu backen und Bier zu brauen. Dort ist ein Ziegen- und ein Schweinestall. Und da hinten, gerade am nördlichen Ende vom Haus, ist ein Abort.“
Leif deutete auf ein Steingebäude mit niedrigem Dach, das wie eine rechteckige Scheune geschnitten war, an die man einen Raum nach dem anderen angefügt hatte. „Und dort werden wir leben.“
Krista unterdrückte ein Stöhnen. Auch wenn die Umgebung zauberhaft war, so sah der Ort doch genauso primitiv aus, wie sie es befürchtet hatte. Ein Schauer überlief sie, und Leif legte den Arm um sie.
„Komm. Lass uns hineingehen, wo es warm ist. Ich werde dich dem Rest der Familie vorstellen.“ Krista wusste, dass sie alle zusammenleben würden. So war es Sitte bei den Wikingern.
Sie holte tief Luft, um sich Mut zu machen, und ließ sich von ihm in das Langhaus führen, dessen niedrige Decke von schweren Treibholzbalken gestützt wurde. Das Langhaus war weniger trostlos, als sie erwartet hatte, und besaß eine Eingangshalle, gefolgt von einer riesigen Haupthalle mit erhöhten Podesten zu beiden Seiten. Vielleicht waren es Schlafplätze. Doch es war kaum die Art von Unterkunft, an die Krista gewöhnt war.
Sie betrachtete den Boden. Den festgestampften Lehm wärmten dicke Wollteppiche mit bunten, geometrischen Mustern. An einer Wand war ein großer Kamin, in dem ein niedriges Feuer brannte. Man benutzte zum Feuern wohl Treibholz und Kuhdung, vermutete Krista, da es auf Draugr keine Wälder gab. Doch das Feuer spendete eine beachtliche Wärme, und bald war ihr warm genug, dass sie den Mantel ablegen konnte.
„Die Küche ist weiter vorne. Es gibt noch einen Raum, in dem gewebt wird, und auch einen, in dem die Milchprodukte aufbewahrt werden. Einen weiteren Raum füllen wir mit Eis und benutzen ihn zur Aufbewahrung von Fisch und Fleisch.“ Er deutete mit dem Kopf auf die gegenüberliegende Seite der Halle. „Komm. Ich will dir zeigen, wo du schlafen wirst.“
Ziemlich niedergeschlagen folgte sie ihm. Womit sollte sie sich an einem solchen Ort beschäftigen? Wolle spinnen oder Kleidung weben? Butter machen? Für Leif und die Männer das Essen kochen?
Sie musste einen Weg finden, ihm klarzumachen, dass sie so nicht leben konnte, dass ihr Verstand abstumpfen und sie mit der Zeit einfach dahinschwinden würde.
„Wir werden den Raum meines Vaters bewohnen“, sagte Leif und führte sie in ein großes Zimmer, das aussah, als wäre es erst kürzlich frei gemacht worden. Das Zimmer verfügte über eine eigene kleine Feuerstelle. „Olav und seine Frau müssen hier gewohnt haben. Von Rechts wegen gehört es jetzt mir – und meiner Frau.“
Krista betrachtete den Raum, dessen Luft man mit Kräutern aufgefrischt hatte. Das riesige Bett auf einem Podest bedeckten mehrere Lagen Felle. Was immer Leif an Besitz zurückgelassen hatte, als er von Draugr davonsegelte, war wohl in diesem Zimmer aufbewahrt worden. Ein über und über verzierter Lederschild, eine Kampfaxt und eine Lanze lehnten an der Wand.
„Gehört das dir?“
„Ja. Meine Lieblingswaffen habe ich mitgenommen, doch außer meinem Schwert liegen sie jetzt alle auf dem Grund des
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