Mein wildes rotes Herz
Angst. Mit einer knappen Handbewegung durchtrennte sie die Fesseln an ihren Handgelenken. In scharfem Ton sagte sie etwas zu Caroline, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ die Hütte.
Damit war der Ton der kommenden Tage klar. Caroline durfte die Hütte nicht verlassen, bekam aber Essen und genug Wasser. Die Frau machte auch ein Feuer und sorgte dafür, dass genügend Holz vorhanden war, damit Caroline nicht frieren musste.
Ab und zu kamen ohne Ankündigung andere Indianer in die Hütte, einmal der alte Mann. Er sah sie nur stumm an, nickte dann und ging wieder. Auch der Krieger, der sie gefangen genommen hatte, kam. Er konnte etwas Englisch und stellte ihr ein paar Fragen, die hauptsächlich ihr Wohlbefinden betrafen. Es schien ihm daran zu liegen, dass sie es warm hatte und genug zu essen bekam.
Doch als Caroline ihn nach Mary fragte, wurde er schroff. Caroline war sich sicher, dass er den Großteil dessen, was sie sagte, verstand, aber er schüttelte immer nur den Kopf. »Sag mir, ob sie am Leben ist«, beharrte Caroline, aber er wandte sich um und ging.
Caroline war mittlerweile an Aufregung und Bewegung im Lager gewöhnt. In der ersten Nacht ihres Aufenthalts hatte eine festliche Atmosphäre geherrscht, in der die Trommelrhythmen und Tänze bis tief in die Nacht angedauert hatten. Auch in den darauf folgenden Tagen wurde das Kommen und Gehen der Krieger mit lauten Rufen kommentiert. Deswegen maß Caroline dem Aufruhr am dritten Tag ihrer Anwesenheit im Dorf keine große Bedeutung mehr zu.
Sie hockte sich vor das Feuer und versuchte warm zu bleiben, als ein Schatten die Tür verdunkelte. Noch ehe sie sich umdrehte, wusste sie, wer es war.
Als sie Wolf sah, stiegen ihr die Tränen in die Augen, und sie sprang auf. Sie wollte sich in seine Arme werfen, aber er streckte ihr die Hand entgegen und warf ihr einen warnenden Blick zu. Seine Kopfbewegung war kaum wahrnehmbar, aber Caroline wurde dennoch dadurch auf eine Gruppe Frauen aufmerksam, die sich hinter ihm in der Tür zusammengeschart hatten.
Wolf wandte sich zu ihnen um und sagte etwas, und schließlich zogen sie sich zurück, auch wenn sie protestierend murmelten. Dann schloss Wolf vorsichtig die Tür. Caroline blieb abwartend stehen.
»Geht es dir gut?«
Er klang nicht wie ein besorgter Liebhaber, und das irritierte sie. »Falls du meinst, ob ich noch am Leben bin, kann ich mit Ja antworten, wie du selber siehst.«
Er hob eine dunkle Braue, sagte aber nichts. Stattdessen hob er einen Lederbeutel von den Schultern und hielt ihn ihr hin. »Das ist für dich ... von Mary.«
»Mary?« Caroline trat einen Schritt auf ihn zu. »Du hast Mary gesehen ? Geht es ihr ... ?«
»Mary geht es gut.«
»Oh, ein Glück!« Tränen der Erleichterung stiegen Caroline in die Augen und rannen ihr unkontrolliert über die Wangen. »Ich habe gedacht, sie hätten sie getötet. Ich dachte -« Ein Schluchzen hinderte sie am Weitersprechen, und sie wandte sich ab, plötzlich abgrundtief erschöpft. Als sie wieder einen Blick über die Schulter warf, stand Wolf noch immer neben der Tür und hielt ihr das Peket hin, als wüsste er nicht, was er damit tun sollte.
»Robert ist tot.«
»Ich weiß.« Er ließ das Bündel fallen und kam auf sie zu, als er sah, wie sie zitterte. Wieder wandte sie sich von ihm ab, und er zögerte. Als er Caroline das erste Mal gesehen hatte, hatte er gedacht, sie sehe so zerbrechlich aus wie eine Porzellanpuppe. Obwohl er mittlerweile wusste, wie stark sie wirklich war, hatte er immer noch dieses Bild von ihr vor Augen. Im Moment sah sie aus, als wenn sie unter seiner Berührung zerbrechen würde.
So sanft wie möglich streckte er die Hand nach ihr aus. Ihr schönes Haar war schmutzig und verfilzt. Sie versteifte sich, und gerade wollte er wieder zurückweichen, als sie herumwirbelte und sich in seine Arme warf. Wolf stieß den Atem aus und zog sie an sich.
»Sie haben ihn skalpiert.«
»Ich weiß«, wiederholte Wolf. Ihm fiel nichts ein, womit er sie hätte beruhigen können. Er spürte ihre Tränen heiß an seiner Brust, und ihre Finger gruben sich in seinen Rücken.
»Überall war Blut, und er hat geschrien und immer wieder geschrien.«
»Ruhig jetzt, denk nicht mehr daran.«
»Aber ich muss immerzu daran denken.« Caroline rückte von ihm ab und hob ihm ihr tränennasses Gesicht entgegen. »Verstehst du das nicht? Ich sehe es wieder und immer wieder vor mir ...«
Seine Hand legte sich um ihren Hinterkopf, und dann küsste er
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