Mein Wille geschehe
Aussage noch mal
durchgehen«, sagte Tinker.
Und das taten sie, den ganzen Samstag und den
halben Sonntag. Sie redeten ohne Ende und zeig-
ten ihm Fotos und redeten weiter und zeigten
ihm noch mehr Fotos, bis Joshua gar nicht mehr
wusste, was er wirklich an diesem Abend im Hill
House gesehen hatte oder was sie ihm einreden
wollten.
Am Montagmorgen durfte er duschen und bekam
saubere Jeans und ein Hemd, und dann brachten
sie ihn ins Gerichtsgebäude und sagten ihm, er
solle dort warten. Dann kam ein anderer Mann
herein und stellte ihm Fragen, und Joshua gab
Antwort, so gut er konnte, aber sein Kopf tat ihm weh. Das einzig Gute an diesem Wochenende –
wenn es überhaupt etwas Gutes daran gab – war,
dass er zu essen bekam, was er haben wollte,
und dass es in seiner Zelle ein Bett gab.
Aber jetzt war er alleine und völlig durcheinan-
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der, und er hatte Angst. Er wollte nicht in dieses Gerichtszimmer zu all den fremden Leuten und
noch mehr Fragen beantworten. Er wollte zurück
zum Hafen und Big Dug suchen. Sein Freund
machte sich bestimmt Sorgen um ihn, denn er
war schon so lange weg. Joshua fragte sich auf
einmal, ob jemand vielleicht dachte, er würde gar nicht mehr wiederkommen, und sich seine Decke
und seine Kiste nehmen würde. Big Dug hatte
sich geirrt. Die Polizisten hatten Joshua eben
doch ins Gefängnis gesteckt. Sie hatten einfach
nur gewartet, bis sein Freund nicht da war, um
ihn zu beschützen. Und Joshua machte sich auch
schreckliche Sorgen, dass sie ihn nicht mehr freilassen würden, weil sie ja nun wussten, dass er
im Hill House geschlafen hatte.
»Ich lege dir keinen Hinterhalt«, versicherte Brian Dana, als die Verteidigerin kurz nach zehn Uhr in sein Büro stürmte.
»Ich habe von diesem Zeugen genau fünf Minu-
ten gewusst, dann habe ich dich durch Joan be-
nachrichtigen lassen. Und wenn du dir mehr Zeit
ausbitten willst, bevor du ihn ins Kreuzverhör
nimmst, stimme ich dem zu.«
»Was hat er ausgesagt?«, fragte Dana. »Er ist ein Augenzeuge.«
»Was hat er gesehen?«
»Er kann bestätigen, dass er den Angeklagten am
Tatort gesehen hat, zu dem Zeitpunkt, als unse-
rer Einschätzung nach die Bombe gelegt wurde.«
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»Wenn es irgendetwas gibt«, drängte Dana ihren
Mandanten fünf Minuten vor der Verhandlung,
»das Sie mir aus irgendwelchen Gründen bislang
nicht mitgeteilt haben, dann sollten Sie es unbe-
dingt jetzt tun.«
»Worüber?«, fragte Corey.
»Heute Morgen wird ein Zeuge aufgerufen, der
Milton Auerbachs Aussage bestätigen kann. Er
wird aussagen, dass er Sie am Abend vor dem
Anschlag am Tatort gesehen hat.« Corey schwieg
und sah sie ausdruckslos an. »Da ist nichts«,
sagte er schließlich. »Ich kann es nicht recht fassen, dass Ihnen das nach all der Zeit noch immer
nicht bewusst ist.« Dana seufzte. »Ich musste
fragen, ich musste noch einmal hören, wie Sie es
bestätigen«, sagte sie. »Gut, hören wir uns an,
was dieser geheimnisvolle Zeuge zu sagen hat,
und lassen Sie uns hoffen, dass ich noch irgend-
wo ein, zwei Wunder auf Lager habe, an die ich
nicht mehr gedacht habe.«
Joshua schlurfte in Begleitung eines Polizisten
zum Zeugenstand, der Joshuas linke Hand auf die
Bibel legte und ihm zeigte, was er mit seiner
rechten Hand tun musste. Der Protokollführer
verlas den Eid, und der Polizist nickte. »Ich
schwöre«, sagte Joshua, wie er es gelernt hatte.
Dann brachte ihn der Polizist zu seinem Platz und zog sich zurück. Joshua lächelte ihn an und wink-te ihm zu, als der Mann sich hinten im Gerichts-
saal niederließ. »Geben Sie bitte Ihren Namen
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und Ihre Adresse an«, verlangte der Protokollfüh-
rer.
»Joshua Clune«, sagte der Zeuge. »Ich wohne in
Seattle, unter dem Viadukt.«
Ein Raunen ging durch die Zuschauerreihen, und
Dana blinzelte verdutzt. »Ein Obdachloser?«,
flüsterte Joan.
»Brian scheint das Wasser bis zum Hals zu ste-
hen«, flüsterte Dana zurück. Sie wusste, dass die meisten Geschworenen Obdachlose nicht als verlässliche Zeugen akzeptierten. »Joshua«, sagte
der Staatsanwalt freundlich, »seit wann wohnen
Sie unter dem Viadukt?«
»Seit ich hier bin«, antwortete Joshua mit brei-
tem Lächeln. »Es ist hübsch da. Ich hab meine
eigene Kiste und meine eigene Decke. Wenn sie
jetzt nicht jemand weggenommen hat, weil ich so
lange weg war. Und ich hab gute Freunde dort,
wie Big Dug.«
»Sie sagten, seit Sie hier sind. W7ann sind Sie
denn hierher
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