Mein Wille geschehe
Verlust seines
ungeborenen Kindes ausgesöhnt hatte?«
»Ich würde sagen, Ende November hatte er seine
Gefühle wieder im Griff«, antwortete Feary gelas-
sen. »Er ließ uns wissen, dass er seiner Frau verziehen hatte, was immer ein ganz wichtiger
Schritt ist. Er beteiligte sich aktiver an den Treffen und zeigte auch Mitgefühl mit anderen. Er
wirkte entspannter, offener und schien bereit da-
zu, sein normales Leben wieder aufzunehmen.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Dana mit einem Lä-
cheln, nickte Feary zu und setzte sich.
»Woher kommen Sie, Mr Feary?«, erkundigte sich
Brian freundlich.
»Ich lebe in Woodinville«, antwortete der Zeuge.
»Nein, ich meine, wo sind Sie aufgewachsen?«
»Oh, Verzeihung. Ich bin in Oklahoma geboren.«
»Sind Sie da zur Schule gegangen und so wei-
ter?«
»ja.«
»In der Nähe von Tulsa?«
»Nicht weit davon.«
»Waren Sie auch 1985 noch dort, als die Abtrei-
bungsklinik verwüstet und die gesamte Ausstat-
625
tung zerstört wurde? Das war doch 1985, oder?«
»Ich lebte 1985 noch dort, aber an diesen Vorfall kann ich mich nicht erinnern.«
»Wo lebten Sie danach?«
»In Colorado.«
»Wann sind Sie dorthin gezogen?«
»Irgendwann 1986 war das, glaube ich.«
»In die Nähe von Denver?«
»Ja.«
»Waren Sie auch noch dort, als auf zwei Arzte
einer Klinik in Denver geschossen wurde? Das
war 1989, glaube ich?«
»Ja, da lebte ich noch dort«, gab Feary leichthin zur Antwort. »Das hatte ich in den Nachrichten
gehört. Sie haben den Schützen nie gefasst. Aber
ich erinnere mich, dass es solche Vorfälle damals öfter gab. Ich glaube, die Menschen waren sehr
verstört über die Ereignisse.«
»Als Sie aus Denver wegzogen, wo lebten Sie
dann?«
»In Oregon.«
»W7ann war das?«
»Wie Sie sicher schon wissen, 1990.«
»Ja, Sie haben Recht«, gab Brian zu. »Das wuss-
te ich schon. Und wann zogen Sie nach Washing-
ton?«
»Vor fünf Jahren.«
»Und da haben Sie Ihre kleine Selbsthilfegruppe
gegründet?«
»Nicht ganz«, berichtigte Feary. »Die Gruppe hat
626
sich vor vier Jahren selbst zusammengefunden,
ich habe sie nicht gegründet.«
»Sie sagten, Sie beraten Menschen, die Trauerar-
beit zu leisten haben.«
»Ja.«
»Sind Sie für diese Tätigkeit irgendwie ausgebil-
det worden?«
»Nein. Ich arbeite mit meiner persönlichen Erfah-
rung.«
»Diese Gruppe, die Sie beraten, soll Menschen
helfen, die ein Kind verloren haben, ist das richtig?«
»Ja.«
»Wenn Sie also mit persönlicher Erfahrung arbei-
ten, nehme ich an, dass Sie auch den Verlust ei-
nes Kindes zu betrauern haben?«
»Ja.«
»Unter welchen Umständen verloren Sie Ihr Kind,
Sir?«
»Meine erste Frau hat eine Abtreibung vorneh-
men lassen.«
»Wann war das?«
»Vor sechs Jahren, ungefähr.«
»Wo?«
»In einer Klinik in Portland.«
»Aha«, erwiderte Brian bedächtig. »Gut, lassen
Sie uns einige Aussagen von Ihnen noch genauer
betrachten. Sie sagten, der Angeklagte habe sei-
ne Wut in andere Bahnen geleitet. Können Sie
uns sagen, welche Bahnen Sie damit meinen?«
627
»Wie bitte?«
»Sie sagten, man könne Wut nicht überwinden,
sie würde nur in andere Bahnen geleitet. Ich
nehme an, dass Sie sowohl aus persönlicher Er-
fahrung sprechen als auch auf der Basis Ihrer
Beobachtungen. Ich frage Sie nun, der Sie ein
erfahrener Beobachter sind: Wo, glauben Sie, hat
Corey Latham seine Wut hingeleitet?«
»Das kann ich nicht wissen«, gab Feary zur Ant-
wort. »Warum nicht?«
Feary zog eine Augenbraue hoch. »Nun, um es
genau zu sagen: Ich habe ihn nie gefragt, und er
hat es nie gesagt.«
»Nun, da Sie ihn nicht gefragt haben und der An-
geklagte von sich aus nichts dazu sagte, wäre es
dann nicht denkbar, dass er seine Wut umgelenkt
hat in den Anschlag auf Hill House?«
Feary schwieg vielleicht eine Sekunde zu lange.
»Denkbar ist alles«, sagte er schließlich. »Des-
halb ist es noch lange nicht wahrscheinlich.«
In diesem Moment sah Corey zu dem Zeugen
hoch. Auf seinem Gesicht lag ein verwirrter Aus-
druck. »Aber Sie können die Möglichkeit nicht
absolut ausschließen, dass der Angeklagte seine
Wut von seiner Frau abgelenkt und sich ein ande-
res Zielobjekt dafür gesucht hat?«, fragte Brian.
»Nein, ich kann das nicht absolut ausschließen«,
räumte der Zeuge ein. »Man kann nie etwas ab-
solut ausschließen, was einen anderen Menschen
betrifft.«
628
»Was macht er denn?«, murmelte Joan Wills.
»Ich glaube, er
Weitere Kostenlose Bücher