Mein Wille geschehe
Bendali bog das Mikrofon wieder zu sich, während die beiden Anwälte auf ihre Plätze zu-rückkehrten. »Der Zeuge wird angewiesen, die
letzte Frage nicht zu beantworten«, verkündete
er. »Und die Geschworenen sind angewiesen, sie
nicht zu berücksichtigen.«
Brian sah den Zeugen an. »Sie haben heute wie-
derholt Formulierungen gebraucht, wie der Ange-
klagte ›schien‹ so und so zu sein oder dies und
das ›wies darauf hin‹. Doch tatsächlich können
Sie keinesfalls mit Gewissheit sagen, dass der
Angeklagte nicht eine Bombe in Hill House gelegt
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und das Gebäude in die Luft gejagt hat, nicht
wahr?«
»Nein«, gab Feary zu, »das kann ich nicht.«
»Keine weiteren Fragen.«
»Absolutheiten und Gewissheiten einmal außer
Acht gelassen, Mr Feary«, fuhr Dana in ihrer Be-
fragung fort, »Sie haben seit fünf Jahren Erfah-
rung mit Beratung in Trauerarbeit. Würden Sie
sagen, dass Corey Latham dem Profil eines Terro-
risten entspricht oder einer Person, die ihre Wut an unschuldigen Menschen auslässt?«
Feary lachte fast, ohne aber den Anlass seiner
Heiterkeit preiszugeben. »Meiner Ansicht nach
nicht«, sagte er. »Tatsächlich kenne ich nieman-
den, der diesem Profil weniger entspräche.«
»War es ein Fehler, Feary in den Zeugenstand zu
rufen?«, fragte Joan, als die Verhandlung ge-
schlossen war und sie zum Smith Tower zurück-
gefahren wurden. Dana zuckte die Achseln. »Wir
brauchten ihn.«
»Er hörte sich weitaus positiver an bei den Ge-
sprächen, die wir mit ihm geführt haben«, sagte
Joan. »Ich frage mich, was auf dem Weg zum
Gerichtssaal vorgefallen ist.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Dana. »Aber irgend-
was war mit ihm, ich kann nur nicht den Finger
darauflegen.«
»Lieber Himmel, du glaubst doch nicht wirklich,
dass er etwas mit diesen Kliniken und den Ärzten
zu tun hatte, oder?«, fragte Joan.
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»Wer weiß?«, antwortete Dana mit einem Achsel-
zucken. »Aber wenn Brian Beweise gehabt hätte,
dann hätte er sie vorgelegt. Es wäre doch ein ge-
fundenes Fressen für ihn gewesen, Corey mit ei-
nem fanatisierten gewalttätigen Abtreibungsgeg-
ner in Verbindung zu bringen.«
Das Haus in Magnolia war still und dunkel, als
Dana die Tür aufschloss. Keine Molly kam die
Treppe heruntergehüpft, keine Musik erklang aus
der Anlage, keine verlockenden Düfte wehten ihr
aus der Küche entgegen. Und Sam hatte noch
immer nichts von sich hören lassen. Als Dana
durch die leblosen Räume schritt, begriff sie zum ersten Mal, wie sehr sie sich immer auf Sam verlassen hatte, wie selbstverständlich sie mit seiner Nachsicht und seiner Vergebung gerechnet hatte.
Sie war erzogen worden wie ihr Vater und hatte
immer geglaubt, dass sie das Sagen hatte, alles
in die Hand nahm, die Welt bewegte. In Wirklich-
keit war es Sam gewesen.
In den sieben Jahren, die sie nun zusammenleb-
ten, hatte sie sich nie eingestanden, wie abhän-
gig sie tatsächlich von ihm war. Erst jetzt, als es zu spät war, da sie etwas getan hatte, das er
nicht verzeihen konnte, und sie nun den Folgen
ihres Handelns ins Auge blicken musste, war sie
im Stande, sich die Wahrheit einzugestehen.
Es wäre einfach gewesen, an allem Judith die
Schuld zu geben, aber Dana wusste, dass sie der
Freundin nicht ihr Elend in die Schuhe schieben
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konnte. Judith mochte ihr Vertrauen missbraucht
haben, aber Dana hatte ihren Mann betrogen. Sie
hatte mit dieser Schuld fünf Jahre lang gelebt.
Nun würde Sam für den Rest seines Lebens mit
der Realität leben müssen.
Wie hatte es nur so weit kommen können? Die
Antwort war im Grunde einfach: Sie hatte alles
haben wollen und hatte deshalb alles verloren.
Doch was nun? Dana wusste, dass sie sich mit
der Antwort auf diese Frage an diesem Abend
nicht befassen konnte. Morgen war der wichtigste
Tag im Hill-House-Prozess, und sie musste all
ihre Energien mobilisieren, um ihn durchzuste-
hen. Die Vorstellung, sich selbst in der Küche etwas zu kochen, war ihr unerträglich. Sie schlepp-
te sich nach oben und ging zu Bett.
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»Sind Sie bereit?«, fragte Dana.
Corey, der in einer makellosen Uniform neben ihr
saß, nickte. »Ja, Ma’am«, sagte er.
Dana lächelte in sich hinein. Er muss nervös sein, dachte sie. So hatte er sie seit Monaten nicht
mehr genannt. Sie stand auf und strich den Rock
ihres jadegrünen Kostüms glatt. »Die Verteidi-
gung ruft nun Corey Dean Latham auf«, sagte sie
mit klarer Stimme.
Der
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