Mein Wille geschehe
Angeklagte erhob sich, trat hinter dem Tisch
hervor, der ihn so viele Wochen abgeschirmt hat-
te, und ging nach vorne zum Zeugenstand.
Barbara Latham saß in der ersten Reihe im Zu-
schauerbereich und beobachtete ihren Sohn, der
aufrecht und zuversichtlich wirkte. Sie musste
daran denken, wie Corey zum ersten Mal alleine
Fahrrad gefahren war, wie er bei den Pfadfindern
ausgezeichnet wurde, wie er auf der Bühne stand
und den Hamlet spielte, wie er in Annapolis sein
Abschlusszeugnis bekam. Meilensteine im Leben
einer Mutter, dachte sie. Evelyn Biggs hatte nicht einen Tag des Prozesses versäumt. Nun drückte
sie Barbaras Hand und lächelte sie aufmunternd
an. Auch Tom Sheridan war da, bereit, allen zur
Seite zu stehen.
Auf der anderen Seite saßen die Überlebenden
des Anschlags und die Angehörigen der Opfer, die
neun Monate darauf gewartet hatten, den Mann
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sprechen zu hören, den man der Zerstörung ihrer
Klinik und der Ermordung ihrer Lieben anklagte.
Frances Stocker hatte Corey Latham seit Beginn
des Prozesses genau beobachtet. Sie wünschte
sich inständig, dass die Polizei den Richtigen gefasst hatte. Sie wünschte sich, dass er schuldig
war. Sie wollte, dass er verurteilt wurde und die Bilder von Grace Pauley endlich aus ihren Albträumen verschwanden. Doch es war der Psycho-
login von Tag zu Tag schwerer gefallen zu glau-
ben, dass der junge Mann, der nun im Zeu-
genstand saß, zu einer solch schrecklichen Tat
fähig war. Sie hoffte jetzt, dass seine Aussage
das endlich bestätigen würde.
Ruth Zelkin hatte den Angeklagten nicht sehen
können. Sie hatte den anderen im Gericht zuge-
hört, die über ihn sprachen. Jetzt beugte sie sich angespannt vor, um kein Wort von ihm zu überhören.
Joseph Heradia war es sehr wichtig, heute dabei
zu sein. Er wusste nicht, ob Corey Latham schul-
dig war oder nicht, und wollte nun hören, was der junge Mann selbst vorbrachte. Betsy Toth Umanski saß in ihrem Rollstuhl und wartete auf die Aussage des Mannes, von dem die Polizei glaubte, dass er schuld war an ihrer kinderlosen Zu-
kunft. Marilyn Korba saß in der ersten Reihe. Sie wusste, dass es schmerzhaft für sie sein würde,
die Stimme des Mannes zu hören, der ihren Gat-
ten getötet hatte, doch es war ihr auch nicht ge-
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lungen, zu Hause zu bleiben.
Joe Romanidis hätte diesen Tag um keinen Preis
versäumen wollen. Wenn er dem Angeklagten in
die Augen sah und seine Stimme hörte, würde er
wissen, ob dieser Mann seine Frau und seine un-
geborenen Drillinge getötet hatte, dessen war
sich Joe sicher.
In der dritten Reihe saßen Helen Gamble und
Raymond Kiley und hielten sich an der Hand. Sie
hofften, dass Corey Latham schuldig war und
verurteilt würde, damit sie wenigstens einen
Schlussstrich ziehen konnten, wenn sie auch kei-
nen wirklichen Frieden finden würden. Doch beide
waren sich dessen nicht mehr allzu sicher.
»Schwören Sie, dass Sie die Wahrheit sagen wer-
den, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahr-
heit?«, fragte Abraham Bendali.
»Ich schwöre«, sagte Corey mit fester Stimme.
»So wahr mir Gott helfe.«
»Geben Sie Ihren Namen an.«
»Corey Dean Latham, Leutnant bei der Marine
der Vereinigten Staaten.«
»Nehmen Sie Platz.«
»Corey«, begann Dana, »Sie haben bislang am
gesamten Prozess teilgenommen. Sie haben
sämtliche Zeugenaussagen gehört. Was denken
Sie?«
»All diese Menschen, die ums Leben gekommen
sind, und die Verletzten«, sagte er. »Das ist entsetzlich.«
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»Und wie ist Ihnen zu Mute, nachdem Sie die
Bemühungen der Anklage gehört haben, zu be-
weisen, dass Sie verantwortlich sind für all diese Toten und Verletzten?«
»Ich finde es abscheulich, und ich habe Angst.«
»Warum finden Sie es abscheulich?«
»Weil ich in dem Glauben an die Unantastbarkeit
des Lebens erzogen wurde und weil das jeder
weiß, der mich kennt.«
»Und warum haben Sie Angst?«
»Weil die Geschworenen mich nicht kennen und
ich es ihnen nicht verdenken könnte, wenn sie
mich nach diesen Zeugenaussagen verurteilt se-
hen wollten.«
»Corey, möchten Sie den Geschworenen etwas
über sich erzählen?«, schlug Dana vor.
»Gerne«, antwortete er mit einem jungenhaften
Grinsen und wandte sich den Geschworenen zu.
»Ich bin in Cedar Falls in Iowa aufgewachsen und
dort groß geworden. Falls Sie noch nie dort wa-
ren: Das ist eine sehr hübsche kleine Stadt, in
der richtig nette Menschen leben. Für ein Kind ist das ein
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