Mein Wille geschehe
O’Mara, der seit acht Jahren mit Joyce
verheiratet war, spürte, wie ihm die Tränen in die Augen traten. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte. »Allen hier. Ich weiß, wie hart Sie gearbeitet haben.«
»Es wird lange dauern, bis sie wieder auf den
Beinen ist«, erklärte der Arzt warnend. »Und sie
wird sich daran gewöhnen müssen, dass ihr Kör-
per nicht mehr so funktionieren wird wie zuvor.
Einiges wird sie nicht mehr tun können, bei eini-
gen Dingen wird sie umlernen müssen.«
»Keine Sorge«, sagte Joyces Mutter. »Sie kommt
mit mir nach North Bend. Ihr kommt alle mit. Ich
kümmere mich um alles.«
»In ein paar Stunden werden wir sie aus der In-
tensivstation auf ein normales Zimmer verlegen«,
sagte der Arzt. »Die Schwestern werden Ihnen
mitteilen, wo sie dann liegt.« Sobald der Arzt gegangen war, sank Donald auf einen Stuhl. Ihm
war, als wäre sämtliche Kraft, die ihn bis zu diesem Augenblick in Bewegung gehalten hatte, aus
ihm herausgeflossen. Die zwei Wochen vor dem
Anschlag waren bereits enorm anstrengend ge-
wesen, von den letzten Tagen ganz zu schwei-
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gen. »Ich weiß nicht, was wir ohne dich täten«,
sagte er zu seiner Schwiegermutter.
»Das ist doch die beste Lösung«, antwortete sie.
»Ich habe viel Platz, und die Kinder können sich
gut beschäftigen. Die Farm ist geradezu ideal für euch alle.«
Donald seufzte. »Da treffen wir diese schreckliche Entscheidung, das Kind nicht zu bekommen, der
Familie wegen, nach medizinischen Beratungen,
religiösen Erörterungen und stundenlangen Gebe-
ten, und dann passiert so etwas.«
»Gottes Wege sind unergründlich«, erwiderte sie.
Ihr Schwiegersohn blickte sie entsetzt an.
»Glaubst du etwa, dieses grauenvolle Geschehen
ist Gottes Werk?«, fragte er.
Um zwei Uhr mittags am dritten Dienstag im Feb-
ruar, zwei Wochen nach dem Anschlag auf Hill
House, starb Jeffrey Korba. Er erlag seinen
schweren Verletzungen. »Er ruht in Frieden«,
sagte der Arzt zu seiner schluchzenden Frau. »Ich weiß, wie schwer es für Sie ist, das zu begreifen, aber es ist wirklich besser so. Er wäre nicht der Mann gewesen, den Sie kannten, wenn er überlebt hätte. Behalten Sie ihn so in Erinnerung, wie er war.«
Marilyn nickte. Wenigstens hatte sie bei ihm sein können und seine Hand halten können, als er seinen letzten Atemzug tat. Und sie hatte ihm sagen
können, wie sehr sie den Streit wegen der ver-
dammten Waschmaschine bereute. »Glauben Sie,
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dass er mich hören konnte?«, fragte sie. »Wir
wissen sehr wenig darüber, wie das Gehirn im
Zustand der Bewusstlosigkeit arbeitet«, antwor-
tete der Arzt. »Aber wir hören immer wieder von
Menschen, die aus dem Koma erwachen und Ge-
spräche wiedergeben, die in ihrer Nähe geführt
wurden. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass
er Sie gehört hat.«
Marilyn blickte auf ihren Mann hinunter. »Ich
muss wohl irgendwie weitermachen, wie?«,
murmelte sie. »Haben Sie jemanden, der Ihnen
helfen kann?«, fragte der Arzt besorgt.
»O ja«, sagte sie. »Meine Mutter – sie kümmert
sich um die Kinder. Und meine Schwester, natür-
lich, sie ist auch hier. Viele…« Sie verstummte,
und dann blickte sie zu dem Arzt auf wie ein
Kind. »Aber Jeffrey war mein Leben, wissen Sie.
Ich weiß nicht, was ich ohne ihn tun soll.«
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Joshua Clime nahm das Medikament, das der Arzt
ihm verschrieben hatte, und wurde gesund. Doch
über den Anschlag auf Hill House kam er nicht so
schnell hinweg wie über seine Erkältung. Er
musste jeden Tag daran denken. Was auch durch
die Tatsache nicht besser wurde, dass alle Leute
seit einem Monat von nichts anderem sprachen.
»Uns geht’s schlechter als vorher«, sagte Big
Dug, als die beiden im kalten Regen auf einer
Bank unweit der Anlegestelle der Fähre saßen.
»Sie haben uns nicht nur zu essen gegeben, son-
dern sich auch um uns gekümmert.«
»Ich weiß«, murmelte Joshua. Er wünschte sich,
der Freund würde verschwinden und ihn in Ruhe
lassen. »Es tut mir Leid.«
»Na klar tut es dir Leid. Es tut uns allen hier Leid.
Das Leben wird nie mehr so sein wie vorher.«
»Ich konnte nichts dafür«, sagte Joshua. Sein
Magen krampfte sich zusammen.
»Natürlich nicht, keiner von uns«, versicherte
ihm Big Dug. »Hat sich schließlich keiner von uns gewünscht, dass so was passiert.«
»Hab ich nicht, hab ich wirklich nicht«, sagte Joshua, der plötzlich Mühe hatte zu atmen.
»Es weiß nur keiner,
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