Mein Wille geschehe
ein Abkommen mit Gott. Wenn er sie am Leben ließ,
wollte sie künftig für die Rechte der Frauen
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kämpfen.
Gott ließ sie leben, und Priscilla hielt sich an das Abkommen. Sie beendete ihr Studium mit summa
cum laude und eröffnete sofort eine Kanzlei. Doch inzwischen hatte sich die Rechtslage verändert.
Abtreibung war nun legal, doch man musste
ständig darum kämpfen, dass dieses Recht nicht
unterminiert wurde. Nach fünfundzwanzig Jahren
schlug Priscilla diese Schlacht noch immer.
Die hoch gewachsene hagere brünette Frau wuss-
te, dass nun eine Grenze erreicht war. Den Hard-
linern musste Einhalt geboten werden, oder die
Frauen mussten wieder leben wie vor hundert
Jahren. Sie zog einen Mundwinkel hoch. Wenn
man einer Frau das Recht auf freie Entscheidung
nahm, würde sich das sofort im Wahlergebnis
niederschlagen. Am nächsten Morgen würde sie
sich mit dem Vorstand treffen und einen Plan er-
arbeiten, der zur Verurteilung von Corey Latham
führen sollte.
»O Gott, irgendjemand muss mir doch glauben!«
Dana fuhr hoch, weil sie diese Stimme in ihrem
Kopf hörte, und sah auf die Uhr am Bett. Die
grünen Zahlen des Digitalweckers zeigten 3 Uhr
23 an. Seit sie das letzte Mal nachgesehen hatte, waren nur neunzehn Minuten vergangen. Sam
schnarchte leise neben ihr in dem Pfostenbett.
Normalerweise empfand sie das leise Knurren als
tröstlich, doch in dieser Nacht machte es sie ner-vös. »Irgendjemand muss mir doch glauben.«
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Das hatte Latham gesagt, und sie wurde diesen
Satz nicht mehr los. Er verfolgte sie, seit sie das Gefängnis verlassen hatte. Und nun hörte sie ihn
auch noch im Schlaf. Dana zog ihr Kissen hoch
und lehnte sich zurück. Wer ist dieser Corey
Latham?, fragte sie sich.
Im Dunkeln ließ sie das Gespräch mit ihm noch
einmal Revue passieren. Als gute Anwältin war
sie im Stande, Menschen und Situationen schnell
und präzise einzuschätzen. Was er gesagt hatte,
klang klar und aufrichtig. Sie hatte keinerlei Hinweis darauf gefunden, dass er etwas vorher ein-
geübt hatte, und an keiner Stelle hatte sie Fana-
tismus herausgehört. Darauf hatte sie besonders
geachtet. Seine Gestik und Mimik waren die eines
Menschen, der keine Ahnung hatte, wie er in sei-
ne gegenwärtige Lage geraten war. Sie konnte
nicht die kleinste Unstimmigkeit entdecken.
Dana seufzte. Wenn Corey Latham der gewissen-
lose Terrorist war, der dieses Verbrechen began-
gen hatte, wusste er das sehr gut zu verbergen.
Auf dem Weg zur Anklageerhebung war er außer
sich vor Entsetzen gewesen, als sie ihm sagte, er könne seine Unschuld erklären, aber nicht gegen
Kaution entlassen werden.
»Heißt das, ich muss hier bleiben?«, rief er aus.
»Ich kann bis zum Prozess nicht nach Hause ge-
hen? Ich kann nicht ins U-Boot zurück?«
»Sie werden eines Kapitalverbrechens ange-
klagt«, erklärte sie und empfand dabei so viel
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Mitleid für ihn, dass es ihr schwer fiel, die Worte auszusprechen. »Da gibt es keine Freilassung
gegen Kaution.«
Seine Knie gaben nach, und einer der Aufseher
musste ihn stützen. Als die Türen des Fahrstuhls
aufgingen, nahmen ihn die beiden Aufseher zwi-
schen sich und marschierten mit ihm zum Ge-
richtssaal, als führten sie ihn zum Galgen. Erst
vor der Tür fand er seine Haltung wieder, und
Dana hörte ihn murmeln: »Friss oder stirb, See-
mann.« Während der Anklageerhebung schien
Corey in sich hineinzukriechen wie eine Schildkrö-
te, der Gefahr droht. Er zeigte keinerlei Gefühle, sagte nur, was von ihm verlangt wurde. Dana
beobachtete diese Reaktion mit einer Mischung
aus Faszination und Mitleid. Als sie sich danach von ihm verabschiedete, schien er sie kaum
wahrzunehmen. Dieses Bild von ihm verfolgte sie
stundenlang und ließ ihr keine Ruhe. Doch mehr
noch war sie über ihre eigenen Gefühle beunru-
higt. Es kam ihr vor, als sei sie ihm in seinen
Panzer gefolgt und habe einen Teil seines
Schmerzes angenommen. Sie hatte sich einem
Mandanten noch nie emotional verbunden gefühlt
und hatte auch nicht die Absicht, daran bei Corey Latham etwas zu ändern. Überdies befand er sich
in einer Situation, in der er im Grunde nur verlieren konnte.
Dana war ganz und gar nicht einverstanden mit
Paul Cotters Vorschlag. Es war unfair und unpas-
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send, ihr diesen Fall zu übertragen, nur weil er
eine Frau dafür haben wollte. Er bemühte sich
zwar, sein eigentliches Motiv mit Lobhudeleien
über ihre Qualitäten als Anwältin zu
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