Mein Wille geschehe
überdecken,
doch sie ließ sich nicht täuschen – er hielt Abtreibung für ein Frauenthema und wollte es sich auf
diesem Weg vom Hals schaffen. Sie lächelte in
sich hinein. Auf dieser Ebene würde es ihr nicht
schwer fallen, ihm den Fall wieder vor die Füße
zu werfen.
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Corey Dean Latham wurde an einem dritten Sep-
tember geboren, an dem es so heiß war, dass
man in Cedar Falls in Iowa, einem malerischen
kleinen Städtchen mitten im Land, einen neuen
Rekord verzeichnete.
Er hatte zwei Schwestern und war ein Nachzüg-
ler, der elf Jahre nach der jüngeren Schwester
auf die Welt kam. Geplant war er nicht, aber auch nicht unwillkommen. Sein Vater war Mathematik-professor und lehrte an der University of Iowa,
nicht weit von ihrem Wohnort entfernt. Seine
Mutter arbeitete in einer christlichen Vorschule.
Corey war ein zufriedenes, selbstgenügsames
Kind mit braunen Locken, leuchtend blauen Au-
gen und einem Vorrat an unerschöpflicher Neu-
gierde. Er liebte seine Familie, seinen Golden
Retriever und sein Fahrrad, wenn auch nicht im-
mer in dieser Reihenfolge.
Als er in die Pubertät kam, hatte er einen klaren Sinn für Recht und Unrecht entwickelt, der ihm,
in Verbindung mit seiner Überzeugung, dass man
keinem Menschen etwas zu Leide tun sollte, den
Respekt der Gleichaltrigen und auch der Älteren
einbrachte. Als erwachsener Mann galt er dann
als eine der eindrucksvollsten Persönlichkeiten,
die es in der Gemeinde je gegeben hatte.
Er war ein guter Läufer und Schauspieler und
verbrachte viel Zeit auf der Bahn und auf der
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Bühne. Im vorletzten Schuljahr an der Highschool
wurde er Landesbester im Hundert-Meter-Lauf
und spielte die Titelrolle in der Hamlet-
Inszenierung der Schule.
Dean und Barbara Latham hatten, ob bewusst
oder unbewusst, die beiden Töchter dazu erzo-
gen, jung zu heiraten, viele Kinder zu bekommen
und in Iowa zu bleiben, den Sohn dagegen dazu,
in die Ferne zu ziehen. »Die Welt da draußen ist
groß und aufregend«, sagte Dean zu seinem
Sohn, als der Junge im letzten Schuljahr war.
»Schau sie dir erst mal gut an, und dann ent-
scheide, was du machen willst mit deinem Le-
ben.« Dabei hoffte er inständig, dass Corey sich
nicht für ein Dasein als Schauspieler entscheiden würde, doch das sprach er nicht aus. Vielleicht
hatten Corey seit jeher die Ozeane so fasziniert, weil Iowa nur von Land umgeben war. Mit dieser
Begeisterung, einem für die amerikanische Mittel-
schicht typischen ausgeprägten Pflichtgefühl und
Nationalstolz, besten Noten und der Empfehlung
eines Kongressabgeordneten trat er an der Mari-
neakademie in Annapolis an.
»Dies ist einer der begabtesten und herausra-
gendsten jungen Männer, die mir in vielen Jahren
begegnet sind«, schrieb der Kongressabgeordne-
te in seinem Empfehlungsbrief. »Es ist mir eine
Freude, ihn fördern zu dürfen, und ich bin über-
zeugt, dass er sich selbst, seiner Familie und seinem Land zur Ehre gereichen wird.«
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Corey war gerade achtzehn geworden. Er hielt
sich zum ersten Mal in seinem Leben außerhalb
des Bundesstaates auf, in dem er geboren war,
und war nicht im Mindesten vorbereitet auf das,
was ihn erwartete. Die unvermittelte Freiheit, die exzessiven Saufereien, deren Zeuge er wurde,
leichter Zugang zu Drogen, Alkohol und Frauen,
in Verbindung mit unerbittlichem Drill, einem
starren sozialen Klassensystem und erbarmungs-
losen Hänseleien, stellten seine Moral auf die
Probe, untergruben seine Motivation und hatten
verheerende Auswirkungen auf seine Leistungen.
Für den sanften, ruhigen, behüteten Jungen aus
Iowa war die physische und psychische Brutalität
erschütternd. Er schnitt im ersten Semester als
einer der Schlechtesten ab und hätte vermutlich
alles abgebrochen, wenn er nicht mit einem sehr
erfahrenen und verständnisvollen Kaplan zu tun
gehabt hätte, der an der Akademie tätig war.
Die Lathams waren grundanständige Menschen,
die an traditionelle Werte glaubten. Corey war in einer liebevollen Atmosphäre aufgewachsen, die
von Ethik, Disziplin und dem methodistischen
Glauben geprägt war. Seine Religion war ebenso
Teil seiner Persönlichkeit wie sein anziehendes
Äußeres, seine sportliche Gestalt oder sein Sinn
für Humor. Monatelang traf sich der Kaplan täg-
lich mit dem jungen Mann, versuchte, ihm Stabi-
lität zu geben, und ermutigte ihn durchzuhalten.
Er berichtete ihm, wie andere Neulinge in dieser
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Situation
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