Mein Wille geschehe
genug tut man nachts
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kein Auge zu«, sagte ihr Vater. »Ich schätze, du
wirst merken, dass es schon schwer genug ist,
jemanden zu verteidigen, der schuldig ist. Aber
jemanden zu verteidigen, der vielleicht unschul-
dig ist, kann dich die Seelenruhe kosten.«
»Wir würden gerne ein Interview mit Ihnen ma-
chen«, sagte ein Reporter vom Globe, der anrief, als die Familie beim Abendessen saß. »Wir wollen
die Geschichte groß aufziehen, mit Bildern von
Ihnen im Büro und zu Hause mit der Familie. Und
allem, auf was Sie selbst noch Wert legen.«
»Tut mir Leid«, sagte Dana, die von der Vorstel-
lung entsetzt war. »Ich gebe keine Interviews.«
»Wirklich?«, fragte der Reporter verblüfft. »Ist
Ihnen nicht klar, dass Sie berühmt werden? Das
ganze Land will etwas über Sie erfahren. Sie sind die neue Marcia Clark.«
»Nein, bin ich nicht«, lautete die knappe Antwort.
»Hören Sie, meine Liebe, ich biete Ihnen hier die Möglichkeit, Ihre Geschichte selbst zu erzählen,
bevor jemand anderer es für Sie tut.«
»Ich gebe keine Interviews«, wiederholte Dana
ruhig, obwohl ihre Hand zu zittern begann. »Ru-
fen Sie bitte nicht wieder an.«
»Wer war das?«, wollte Molly wissen, als Dana
zurückkam. »Du bist ganz rot im Gesicht.«
»Niemand Wichtiges, Schätzchen«, sagte Dana
und ließ sich wieder am Tisch nieder. »Da wollte
mir nur jemand was verkaufen, und ich hatte
kein Interesse.« Sie nahm sich eine große Portion 132
Kartoffeln, als seien Anrufe von Boulevardzeitun-
gen ein alltägliches Vorkommnis in ihrem behag-
lichen Haus in Magnolia.
»Ich schätze, du wirst dich darauf einstellen müssen, dass so was jetzt öfter passiert«, sagte Sam, als sie sich bettfertig machten und Dana ihm unter vier Augen von dem Anruf berichtete.
»Die sind wie Geier, nicht?«, sagte sie schau-
dernd. Sam sah sie mitfühlend an. »Das wird ein
ziemlich großer Prozess für dich, oder?«
»Der größte, den ich je hatte«, gab sie zur Ant-
wort, und man hörte ihr sowohl die freudige Er-
regung als auch die Angst an.
»Okay«, sagte er, »bevor der über uns herein-
bricht, sollten wir uns noch eine nette Zeit machen, damit wir den Stress besser verkraften. Ich hab schon ein paar Ideen. Ich werd sie mal mit
Molly besprechen.«
Dana sah ihn an – er war ihr Trostspender, ihr
Spiegel, ihr Fels in der Brandung. Wenn sie ihn
manchmal auch zu sehr als gegeben hinnahm, so
war sie sich doch bewusst, dass seine Ausgegli-
chenheit und sein gesunder Menschenverstand
sie stärkten und prägten, und das bedeutete ihr
mehr, als sie mit Worten auszudrücken vermoch-
te.
»Ich weiß nicht, wie oft ich dir das schon gesagt habe«, sagte sie zärtlich, »aber ich wüsste wirklich nicht, was ich ohne dich täte.«
Er grinste. »Das geht in Ordnung, Babe«, sagte
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er in bester Humphrey-Bogart-Manier. »Wenn du
dich schlau anstellst, brauchst du’s auch nicht zu erfahren.«
Sam McAuliffe war ein glücklicher Mann. Er war
siebenundvierzig, übte den Beruf seiner Wahl
aus, war mit seiner persönlichen Traumfrau ver-
heiratet und hatte eine Stieftochter, die er liebte, als sei sie sein eigen Fleisch und Blut. Nicht alles an Dana war für ihn verständlich: ihr Ehrgeiz,
ihre Hartnäckigkeit, ihre Neigung, immer für das
Gute kämpfen zu wollen, waren ihm oft unbe-
greiflich, doch das spielte keine Rolle. Er liebte sie bedingungslos. Sie hatte alles, was er sich bei einer Frau wünschte und wonach er sich in den
langen Jahren seines Single-Daseins gesehnt hat-
te. Manchmal hatte er in dieser Zeit den Glauben, dass er eine Frau wie sie kennen lernen, heiraten, eine Familie haben würde, beinahe aufgegeben.
Und dann eines Tages war Dana einfach da. Er
wusste, dass er ihr immer dankbar dafür sein
würde, dass sie ihn ausgewählt hatte, ihn in ihr
Leben aufnahm, ihn an etwas so Einzigartigem
teilhaben ließ. Wenn es überhaupt einen Makel
gab in dem harmonischen Bild ihrer Ehe, dann
konnte es nur die Tatsache sein, dass es ihnen
bislang nicht gelungen war, ein Geschwisterchen
für Molly zu schaffen, um die Familie zu vervoll-
ständigen. Sie hatten oft darüber gesprochen,
wie schön es wäre, wenn sie noch ein gemeinsa-
mes Kind haben könnten, als Ausdruck ihrer Lie-
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be. Er wusste, dass Dana für Mollys Vater nicht
so empfunden hatte. Doch Dana war in den sechs
Jahren, die sie zusammen waren, nicht schwan-
ger geworden. Kurz bevor sie bei Cotter und Bo-
land
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