Mein Wille geschehe
konnte.
In der verbleibenden Stunde brachte man ihn in
den Aufenthaltsraum, in dem es einen am Boden
verankerten Stahltisch samt Bank, eine Stange
für Klimmzüge und eine Dusche gab. Dreimal die
Woche war ihm der Aufenthalt im Freizeitbereich
gestattet, einem Gelände, das sich zum Teil in-
nerhalb, zum Teil außerhalb des Gebäudes be-
fand und über einen Basketballkorb verfügte.
Doch war er überall alleine. Da er im Hochsicher-
heitstrakt untergebracht war, durfte er mit nie-
mandem in Kontakt treten außer seinen beiden
Aufsehern, die nur das Nötigste mit ihm spra-
chen. Die Isolation setzte ihm am meisten zu.
»Das ist die Hölle«, sagte er zu Dana am Tag
nach der Anklageerhebung, als ihm klar gewor-
den war, dass man ihn nicht freilassen würde.
»Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushal-
te.«
»Ich habe nie gesagt, dass das hier wie Urlaub
sein wird«, antwortete sie fest. »Sie können es
nennen, wie Sie wollen – Hölle, Krieg, Kampf ums
Überleben –, aber Sie sollten sich alle Mühe ge-
ben, es durchzustehen. Im besten Fall handelt es
sich um Monate, die noch vor Ihnen liegen. Die
Mühlen der Justiz mahlen langsam. Ich würde
Ihnen raten, die Haft als Mutprobe, Härtetest o-
der Glaubensprüfung zu sehen. Was Ihnen am
meisten zusagt.«
Corey mochte Dana McAuliffe. Sie war klug und
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entschieden, ohne unweiblich zu wirken, und er
empfand es als genialen Schachzug der Kanzlei,
sie mit diesem Fall zu betrauen. Das gab ihm das
Gefühl, dass dieser Albtraum eines Tages vorüber
sein würde, und er hing an ihren Lippen wie ein
Ertrinkender an einem Stück Treibholz. Außer
seiner Anwältin durfte er nur dreimal wöchentlich Besucher empfangen – samstags, sonntags und
dienstags zwischen sechs und sieben Uhr abends.
Dazu wurde er in den Besucherbereich gebracht,
einen langen schmalen Raum, der in einzelne Ka-
binen unterteilt und in der Mitte von einer dicken Plexiglaswand durchzogen war. Man saß sich in
einer der Kabinen gegenüber und unterhielt sich
über ein Telefon. Es war ihm zuwider, dass Elise
ihn gefesselt sah und dass er sie nicht riechen
und berühren und nicht richtig mit ihr reden
konnte außer über das verdammte Telefon, aber
er brachte es dennoch nicht übers Herz, ihr die
Besuche zu untersagen.
»Du siehst blass aus«, sagte sie zwei Tage nach
der Anklageerhebung zu ihm. »Bist du krank?«
»Ich schlafe nicht gut«, antwortete er. »Das Es-
sen ist nicht sonderlich, und ich habe die meiste Zeit Magenbeschwerden.«
»Schicken sie dir einen Arzt?«
»Klar. Er hat mir Magentabletten gegeben.« Auch
Tom Sheridan kam zu Besuch. Der siebenund-
fünfzigjährige Pastor der Puget Sound Methodist
Church war ein massiger Mann mit einem breitem
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Lächeln, weit tragender Stimme, hellen Augen
und grauem Haar, das seine Kollegen – wohl aus
symbolischen Gründen – immer gern mit einem
Stahlhelm verglichen. Er saß auf der Besuchersei-
te der Plexiglaswand, das Telefon zwischen Ohr
und Schulter geklemmt, und las seinem Gemein-
demitglied mit seiner sonoren, voll tönenden
Stimme aus der Bibel vor. »›Männer werden mü-
de und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue
Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler,
dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie
wandeln und nicht müde werden‹«, las er aus
Jesaja. »O ja«, seufzte Corey.
Und aus Josua zitierte er: »›Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seiest.
Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht;
denn der Herr, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst. ‹«
»Amen.«
»Wie kommen Sie zurecht?«, fragte Dana ihren
Mandanten am Freitag.
Corey zuckte die Achseln. »Ein bisschen besser,
denke ich«, gab er zur Antwort. »Ich habe noch
oft an Ihre Bemerkung mit der Glaubensprüfung
denken müssen und bete jetzt sehr viel.«
»Gut«, sagte sie mit einem aufmunternden Lä-
cheln. »Das heißt, Sie machen Fortschritte.«
»Es stimmt, dass es Monate dauern kann,
nicht?«, fragte er. »Ich werde lange hier bleiben 141
müssen, nicht wahr?« Dana seufzte. »Gewiss
länger, als Ihnen lieb ist«, gab sie zu. »Sogar um Irrtümer abzuklären, braucht man bei der Justiz
ziemlich lange.«
»Daran werde ich mich festhalten«, sagte er.
»Dass es ein Irrtum ist und dass man dahinter
kommen wird.«
»Heute Abend treffe ich Elise«, sagte sie. »Soll
ich ihr etwas
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