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Mein Wille geschehe

Mein Wille geschehe

Titel: Mein Wille geschehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Sloan
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war
    mittelgroß, mittelschlank, sah mittelmäßig aus,
    und sein Alter ließ sich kaum bestimmen. Doch er
    hatte ein brillantes Gedächtnis für Einzelheiten, konnte sich in jede Umgebung einfügen wie ein
    Chamäleon und gewann spielend das Vertrauen
    anderer Menschen. Diese Eigenschaften ver-
    schafften ihm bei seiner Arbeit einen deutlichen
    Vorsprung. Zwanzig Jahre lang war er einer der
    Besten gewesen bei der Polizei von Seattle. Er
    hatte sich zügig vom Streifenpolizisten zum De-
    tective der Mordkommission und dann zum Ser-
    geant hochgearbeitet. Eine Beförderung zum Lie-
    utenant stand an. Dann wurde sein Partner getö-
    tet, angeblich in einer Schießerei zwischen Poli-
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    zisten und einem Schwarzen. Doch man ver-
    tuschte die Tatsache, dass der Schwarze nicht
    bewaffnet gewesen war. Einen Monat später
    reichte Jessup seine Kündigung ein.
    Er machte sich als Privatdetektiv selbstständig
    und bot seine Dienste Anwaltskanzleien an, die es sich leisten konnten, für erstklassige Arbeit hohe Honorare zu bezahlen. Besonders geschätzt wurde seine Fähigkeit, die Schritte der Polizei zu er-ahnen, da er so lange in ihren Reihen gearbeitet
    hatte. Binnen Monaten hatte er kontinuierlich
    Aufträge. Sein bester Auftraggeber war seit fünf
    Jahren die Kanzlei Cotter, Boland und Grace.
    »Wir gehen davon aus, dass Latham es nicht ge-
    tan hat«, sagte Dana am Tag nach der Anklage-
    erhebung zu Jessup. »Im Ernst?«, fragte Jessup.
    Er kannte sich aus mit der Beweislage und befand
    sie für ausreichend. Normalerweise konnte er so
    etwas gut einschätzen. »Als ich gehört habe, dass Sie den Fall übernommen haben, bin ich davon
    ausgegangen, dass Sie auf verminderte Schuld-
    fähigkeit plädieren wollen oder so was und ihn
    mit einem Schuldbekenntnis raushauen wollen.«
    »Nicht zu diesem Zeitpunkt«, erwiderte Dana. Sie
    sagte nicht, dass ihr Mandant sich nicht schuldig bekennen wollte. »Und Sie meinen wirklich, die
    Polizei liegt daneben?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Dana. »Das sollen Sie
    herausfinden. Ich gehe jetzt wie immer erst ein-
    mal davon aus, dass der Mann unschuldig ist.
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    Wenn ich mich irre, dann irre ich mich eben. Aber wenn ich Recht habe, dann haben Ihre Kumpel
    vom Präsidium irgendwas da draußen übersehen.
    Also, werfen Sie mal einen Blick in die Runde,
    okay?«
    »Okay«, antwortete er.
    Sie händigte ihm eine Kopie der Akte aus, in der
    sie vieles angestrichen und markiert hatte, sowie einen Stapel Blätter mit Notizen von ihren Gesprächen mit Corey Latham. »Lassen Sie sich so
    viel Zeit, wie Sie brauchen«, fügte sie trocken
    hinzu. »Der Prozess findet im September statt.«
    »Und wenn Ihnen das nicht gefällt, was ich raus-
    finde?« Sie zuckte die Achseln. »Wie immer«,
    sagte sie. »Ich werde damit leben müssen, o-
    der?«
    In Jessups Branche gab es nicht wenige, die ge-
    gen entsprechendes Entgelt das Gesetz brachen
    für Anwälte, die damit rechneten und es erwarte-
    ten. Dana wusste, dass Craig Jessup nicht zu die-
    ser Sorte gehörte. Er würde die Regeln frei aus-
    legen, wenn es ihm möglich war, und bis zum
    Anschlag gehen, doch dann war Schluss. Er war
    unbestechlich, was sicher in seiner Vorgeschichte begründet lag. Wie sich die Ermittlungen auch
    gestalteten – er legte das Ergebnis genauestens

dar und ließ sich nicht manipulieren. Als Gegner
    war er bedrohlich, als Verbündeter unschätzbar
    wertvoll.
    Jessup hatte seine Arbeits- und Privaträume in
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    seinem geräumigen Ziegelhaus am Capitol Hill,
    das zwischen zwei viktorianischen Villen stand
    und in dem er mit seiner Frau lebte. Da sie selten Übernachtungsgäste hatten, benutzte er den
    zweiten Schlafraum als Büro, was wesentlich an-
    genehmer und günstiger war, als sich eigens Bü-
    roräume zu mieten. Seine Frau erledigte seine
    Buchhaltung, behielt Arbeitszeiten und Ausgaben
    im Auge, schrieb die Rechnungen und überprüfte
    Quittungen und Ausgaben. Dafür brauchte sie
    etwa zwanzig Stunden im Monat, was sich mit
    ihrer Arbeit als Verwaltungsassistentin im Provi-
    dence Hospital vereinbaren ließ.
    »Ich kann es einfach nicht fassen, dass du bei
    diesem Fall mitarbeitest«, sagte Louise Jessup zu ihrem Mann, als er zu Hause die Akte Latham aus
    seiner Tasche zog. »Dieser Bestie kann man doch
    nicht helfen.«
    »Ich fälle kein Urteil«, rief er ihr in Erinnerung,
    »sondern ich stelle Ermittlungen an.«
    »Aber ich habe Menschen gekannt, die bei dem
    Anschlag umgekommen sind«, erwiderte

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