Mein Wille geschehe
»Ja, das stimmt«, bestätigte Ronna.
»Sie war zwei Jahre mit diesem Steve zusammen
– Doctor Steven Bonner, genauer gesagt – und
war völlig verrückt nach dem Typen. Siebter
Himmel war gar nichts, eher schon siebzigster. Er war Chirurg oder so, flott, sah gut aus, war
schwer von sich eingenommen. Und hatte ’n
Haus auf Mercer Island. Ich fand, es war ziemlich klar, dass er ein Schürzenjäger war, aber Elise
merkte es entweder nicht, oder es war ihr egal.
Sie hatte genaue Vorstellungen, wo sie hinwollte
im Leben, und wahrscheinlich hat sie gedacht, da
sie zwei Jahre mit Steve zusammen war, hätte
sie gute Karten und die Katze schon im Sack.«
»Das klingt ziemlich berechnend, oder nicht?«
Ronna zuckte die Achseln. »Elise ist ein praktisch 173
denkender Mensch. Sie ist so klug wie viele Män-
ner, aber sie hat immer geglaubt, dass ihr Aus-
sehen ihr Türen öffnen würde. Meine Mutter sah
toll aus, als sie jung war, aber man kann sich ja ausrechnen, wie lange das anhält. Ich schätze,
mit siebenundzwanzig kriegte Elise die Panik.
Deshalb sagte sie eines Tages zu Steve, er solle
jetzt Nägel mit Köpfen machen, sonst sei sie
weg.«
»Lassen Sie mich raten. Er wollte keine Nägel mit Köpfen.«
»Naja, das dachten wir auch alle. Aber plötzlich
setzten sie ein Datum fest, und sie schwebte mit
diesem Dreikaräter am Finger durch die Gegend.
Wir waren alle völlig baff. Meine Eltern waren
nicht gerade begeistert, sie mochten ihn, glaube
ich, nicht besonders, aber sie wollten Elise nicht die Partie vermasseln. Deshalb organisierten sie
diese superedle Hochzeit für sie. Haben ein Ver-
mögen dafür ausgegeben, was sie sich gar nicht
leisten konnten. Eine einfache Hochzeit war wohl
nicht gut genug für einen Doktor von Mercer Is-
land.«
»Aber jetzt weiß ich, wie’s weiterging«, warf Jessup ein. »Fünf vor zwölf hat er abgesagt?«
»Noch schlimmer«, erwiderte Ronna und seufzte.
»Er kam einfach nicht. Sie stand vor dem Altar,
mit zweihundert Gästen und schmelzenden Eisfi-
guren. Er hatte nicht mal so viel Anstand anzuru-
fen. Er hat ihr ein Telegramm geschickt, können
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Sie sich das vorstellen? Sie hat einen Monat lang geheult, und dann zog sie los und schnappte sich
Corey.«
»Jetzt verstehe ich, was Ihre Mutter meinte«,
sagte Jessup. »Das war ziemlich überstürzt,
wie?«
»Und dann diese grässliche Sache mit der Abtrei-
bung«, sagte Ronna und seufzte wieder. »Meine
Eltern wissen das nicht, aber ich bin mit ihr ge-
gangen.«
»Sie waren mit Elise im Hill House, als sie die Abtreibung vornehmen ließ?«
Ronna nickte. »Es musste doch jemand bei ihr
sein, um sie hinterher nach Hause zu bringen und
alles. Wir waren uns immer am nächsten von al-
len Geschwistern.«
»Dann wissen Sie auch, dass Elise Corey anlog
und ihm sagte, sie hätte eine Fehlgeburt ge-
habt.«
»Ich mische mich nicht in die Beziehungen von
anderen ein. Was zwischen den beiden lief, ging
mich nichts an.«
»Was halten Sie von Corey?«, fragte Jessup.
Ronna zuckte die Achseln. »Ich hab ihn nur drei-
mal gesehen: bei der Verlobungsfeier, bei der
Hochzeit und letzte Weihnachten. Elise brachte
ihn sonst nie mit. Er machte einen ganz netten
Eindruck, bisschen unreif vielleicht für sie. Aber wenn Sie mich fragen, ob ich glaube, dass er Hill House in die Luft gejagt hat, da kann ich Ihnen
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nur sagen, was ich auch schon der Polizei gesagt
habe: Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
»Naiv«, sagte Zach Miller, »das ist das Wort, das auf Corey Latham am besten zutrifft. Und idealis-tisch.«
»Inwiefern?«, fragte Jessup.
»Naja, er ist ein echt anständiger Kerl, aber er
scheint in einer Welt zu leben, die es gar nicht
mehr gibt«, antwortete der Leutnant. »Wie in
einem Bilderbuch. Die amerikanische Flagge,
Mama und Apfelkuchen, wenn Sie wissen, was ich
meine. Ich glaube, er sieht sich allen Ernstes als Ritter auf dem weißen Pferd, den Gott dazu aus-erkoren hat, sein Land zu verteidigen und die Eh-
re von Frauen zu schützen. Ich meine, das ist ja
nichts Schlechtes. Aber er nimmt sich so fürch-
terlich ernst dabei.«
»Und seine Beziehung zu Elise?«
»Naja, das musste ja passieren, so wie er drauf
ist. Er ist ihr völlig auf den Leim gegangen. Und hat sie aufs Podest gestellt, so hoch, dass er sie wahrscheinlich kaum noch sehen konnte.«
»Mögen Sie sie?«
»Ich kenne sie kaum. Bin ihr auch an diesem A-
bend in der Bar begegnet, als Corey
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