Mein Wille geschehe
Di zu Mute gewesen sein muss«, sagte Barbara zu ihrem Mann.
Dann gingen sie ins Hotel zurück und versuchten
zu schlafen, doch sie waren beide bereits eine
Stunde vor ihrem Termin im Gefängnis geduscht
und angezogen. Dean schaltete den Fernseher
ein, wo sie wiederum nur mit der neuesten Be-
richterstattung über den Fall konfrontiert wurden.
Sie sahen sich sogar selbst, am Pioneer Square,
wo sie wirkten wie verängstigte Tiere, die man in die Enge getrieben hat. Dana McAuliffe erwartete
sie in der Lobby des Hotels und trat sofort auf sie 152
zu, als sie aus dem Aufzug kamen. »Ihr Sohn ist
Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten«, sagte
sie zu Dean.
Sie geleitete sie an den Reportern vorbei zu ei-
nem Taxi, obwohl es nur ein Fußmarsch von zehn
Minuten zum Gefängnis war.
»Sie werden vielleicht ein wenig geschockt sein
über Coreys Aussehen«, bereitete Dana die Eltern
auf die Begegnung vor. »Sie haben ihn eine gan-
ze Weile nicht gesehen, und im Gefängnis zu sein
ist nicht gerade erholsam. Aber ich glaube, ihm
selbst ist nicht bewusst, wie sehr er sich verän-
dert hat.«
Barbara nickte. Die Anwältin versuchte, ihnen auf indirekte Weise zu vermitteln, dass sie sich ihre Bestürzung nicht anmerken lassen sollten. Auf
sehr professionelle, aber dennoch schonende
Weise legte sie den Eltern nahe, Corey zu schüt-
zen. Barbara war die junge Frau auf Anhieb sym-
pathisch. »Sie sagten, er würde unter Anklage
gestellt«, sagte Dean, als das Taxi vor dem Free-
dom Park hielt. »Woher wissen Sie das jetzt
schon?«
»Weil das Große Geschworenengericht nicht Un-
schuld, sondern Schuld voraussetzt«, erwiderte
Dana. »Das Vorgehen ist insofern einseitig, als
die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt, da genü-
gend Beweise vorliegen.«
»Stimmt das denn?«
»Auf den ersten Blick muss es so sein, denn
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sonst hätte man Corey nicht verhaftet«, räumte
die Anwältin ein. »Doch Sie dürfen nicht verges-
sen, dass es ein langer Weg ist von der Anklage-
erhebung bis zu einer Verurteilung.«
Die Lathams hatten ihren Sohn seit seiner Hoch-
zeit nicht mehr gesehen, doch trotz der Plexiglasscheibe, durch die sie getrennt waren, sahen die
beiden auf den ersten Blick, dass Dana Recht
hatte. Corey, der an Händen und Beinen gefesselt
war und in Begleitung der Aufseher hereinschlurf-
te, hatte drastisch abgenommen. Sein Gesicht
wirkte abgehärmt, er hatte dunkle Ringe unter
den Augen, und seine Haut war unrein und hatte
eine graue Farbe angenommen.
Barbara wünschte, sie könnte ihn in die Arme
nehmen und ihm versichern, dass dieser Alb-
traum bald vorüber sein würde. Nur mit Mühe
konnte sie die Tränen zurückhalten. Sie warf ei-
nen Blick auf ihren Mann und sah, dass auch er
um Fassung rang.
Die drei ließen sich in einer der Kabinen nieder.
Corey nahm auf seiner Seite den Hörer ab und
wies die beiden an, dasselbe zu tun.
»Wie geht’s dir, Sohn?«, fragte Dean und hielt
den Hörer ans Ohr.
»Muss ja«, antwortete Corey. »Schön, euch zu
sehen. Wie läuft’s zu Hause?«
»Allen geht es gut, und wir sollen dir ganz liebe Grüße bestellen. Die Nichten und Neffen haben
Karten für dich gebastelt. Wir haben sie deiner
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Anwältin gegeben, und sie meinte, sie würde sie
dir zukommen lassen. Ich glaube, so gut wie je-
der ist vorbeigekommen, um dir gute Wünsche
ausrichten zu lassen. Wir sollen dir sagen, dass Cedar Falls hinter dir steht.«
»Ich habe das nicht getan«, brach es plötzlich
aus Corey hervor. Tränen standen ihm in den Au-
gen. »So etwas könnte ich niemals tun, all diese
unschuldigen Menschen töten.«
»Das brauchst du uns nicht zu sagen«, sagte
Dean. »Wir haben dich großgezogen. Wir kennen
dich.«
»Es ist alles ein Irrtum«, sagte Barbara, die den Hörer an sich genommen hatte. »Die Polizei wird
bald dahinter kommen, und dann wird alles wie-
der gut.«
»Meinst du wirklich?«, erwiderte Corey. »Ich weiß nicht recht. Wenn man hier eine Weile drinsitzt,
kriegt man das Gefühl, als sei man vergessen
worden. Ich komme mir vor, als sei ich in der
Jackson, tief unten am Meeresboden, ohne Ra-
dar. Die Luft wird knapp, und niemand kommt,
um mich zu retten. Keiner hört mir zu. Keiner
glaubt mir.«
»Aber Mrs McAuliffe hört doch zu.«
Corey nickte. »Ja, tut sie«, gab er zu. »Aber das ist ihr Beruf. Sie wird dafür bezahlt. Sie ist nicht unvoreingenommen – wie die Geschworenen.«
Dana fand die Lathams sympathisch.
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