Mein Wille geschehe
Wenn sie richtig war…
Dana schürzte die Lippen. Wenn sie richtig war –
was dann? Eine klare Entscheidung? Ein Frei-
spruch? War das zu viel verlangt? War der Zorn
der Öffentlichkeit angesichts des grässlichen
Verbrechens zu heftig, so heftig, dass Vernunft
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nichts mehr ausrichten konnte? Hatte die Kam-
pagne, die von der Staatsanwaltschaft in den Me-
dien gestartet worden war, die Leute so aufge-
hetzt, dass sie keine Zweifel an der Schuld des
Angeklagten mehr zuließen? Wollten sie Blut se-
hen, egal, ob zu Recht oder zu Unrecht? Zum
wiederholten Mal fragte sich Dana, ob die Ent-
scheidung richtig gewesen war, sich in den Me-
dien nicht zu der von der Staatsanwaltschaft los-
getretenen Hetzkampagne gegen den jungen Ma-
rineoffizier zu äußern. Sie war oft genug aufge-
fordert worden, sich dem Kampf zu stellen.
Newsweek, Seattle P-I, 60 Minutes, Larry King Live –
von allen war sie hofiert worden.
»Lassen Sie sich nicht auf die Ebene der Anklage
herab«, hatte Paul Götter ihr geraten. »Sollen die ihren Prozess in den Medien abhalten. Wir treten
im Gerichtssaal an.« Dana war der Rat richtig
erschienen, denn ihr Instinkt sagte ihr auch, dass sie sich aus dem Trubel heraushalten sollte, in
dem so vieles falsch dargestellt wurde.
Einzige Ausnahme in diesem Fall war ein Inter-
view mit Corey Lathams Eltern, um das Barbara
Walters von ABC für die Nachrichtensendung 20/20 gebeten hatte. »Sie verbreiten überall so schreckliche Dinge über unseren Sohn«, sagte
Dean Latham zu Dana. »Wir würden gerne die
Chance zu einer Gegendarstellung nutzen.«
»Nur unter der Vorgabe und offiziellen Zusiche-
rung, dass Sie sich vor Ausstrahlung der Sendung
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damit einverstanden erklären«, entgegnete Dana.
Die Redaktion von 20/20 ließ sich erstaunlicher-weise auf diese Forderung ein, und Dana hätte
beruhigt sein können. Barbara Walters war ein
Profi, und das Interview im Wohnzimmer der
Lathams, das eine gesamte Sendung im Juli in
Anspruch nahm, wurde ruhig und sachlich ge-
führt. Das Bild von Corey Latham, das seine El-
tern in ihren Aussagen entwarfen, deckte sich mit dem Bild, das Dana selbst gewonnen hatte. Sie
hoffte inständig, dass die Geschworenen das In-
terview gesehen hatten und dass sie selbst im
Stande sein würde, Corey im Gerichtssaal so dar-
zustellen, wie es in dieser Sendung geschehen
war.
Da sie den erwarteten Anruf bekommen hatte,
erhob Dana sich müde, verließ ihr Büro und fuhr
mit dem kleinen Aufzug, der nach Feierabend be-
nutzt wurde, nach unten. Ihr Auto schien darauf
zu warten, sie nach Hause zu befördern, doch
Dana ließ es stehen und hielt stattdessen ein
vorüberfahrendes Taxi an, um sich zum Gefäng-
nis bringen zu lassen. »Sind Sie bereit?«, fragte sie ihren Mandanten, als er in den Gesprächsraum geführt wurde.
»Ich kann kaum erwarten, es endlich hinter mich
zu bringen«, antwortete er. »Ich will wieder nach Hause. Ich will wieder mein altes Leben führen.
Ja, ich bin bereit.«
»Aber sind Sie auch bereit, wenn es anders
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kommt, als Sie es wünschen?«
Seine blauen Augen weiteten sich. »Muss ich das
in Erwägung ziehen?«
»Es gibt keine Garantie, Corey«, rief sie ihm ins Bewusstsein. »Ich werde mein Bestes geben, aber wie die Geschworenen entscheiden, weiß man
immer erst, wenn sie das Urteil verkünden.«
»Aber wie können Sie mich verurteilen, wenn ich
es nicht getan habe?«
Dana seufzte. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen
sagen, dass in diesem Land keine unschuldigen
Menschen im Gefängnis sitzen«, sagte sie. »Doch
das kann ich leider nicht. Im Grunde genommen
beruht unser Justizsystem nicht auf Wahrheit,
sondern auf dem Anschein von Wahrheit. Es be-
ruht darauf, was man zwölf Menschen zu einem
bestimmten Zeitpunkt so überzeugend wie mög-
lich als Beweise präsentieren kann.«
»Und ich kann meine Unschuld nicht unter Beweis
stellen?«
»In unserem Rechtssystem müssen Sie nicht Ihre
Unschuld beweisen, sondern der Staat muss Ih-
nen Ihre Schuld beweisen.«
»Und das verstehe ich nicht. Wie kann man mir
etwas beweisen, das nicht wahr ist?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie. »Aber
manchmal ist es so.« Und zwar öfter, als es der
Fall sein dürfte, dachte sie, doch das sprach sie nicht mehr aus.
»Mrs McAuliffe«, sagte er plötzlich. »Ich weiß,
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dass Sie meine Anwältin sind, und ich weiß auch,
dass Sie Ihr Bestes geben werden beim Prozess,
aber, naja, ich
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