Mein Wille geschehe
sie keinen neuen Auftrag mehr bekommen,
und was sie mit den laufenden Arbeiten einnahm,
reichte nicht aus. Ihre Kreditkarten waren fast bis zum Limit in Anspruch genommen, und sie hatte
keine Ahnung, wie es weitergehen würde. »Ich
denke schon den ganzen Tag an dieses knusprig
gebratene Hühnchen«, sagte Dana. »Da stand ich
im Gerichtssaal, hab potenzielle Geschworene
ausgefragt und hatte ständig diesen Duft in der
Nase.«
»Wie läuft’s denn?«, erkundigte sich Judith. Dana verdrehte die Augen. »Wenn wir jemals die Geschworenen beisammenhaben und loslegen, sag
ich dir Bescheid.«
»Ich begreife immer noch nicht, wie du dich dar-
auf einlassen konntest«, sagte Judith und schüt-
telte den Kopf. »Das ist mein Beruf«, rief Dana
ihr in Erinnerung. »Blödsinn«, entgegnete ihre
Freundin. »Du kannst dir die Fälle doch aussu-
chen. Du hättest diesen nicht annehmen müssen,
versuch mir das nicht weiszumachen. Machst du
das wegen irgendwelcher katholischer Schuldge-
fühle? Oder warum?«
»Nun sei nicht albern«, erwiderte Dana. Sie
merkte, dass sie sich unwillkürlich verkrampfte.
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»Ich bin zufällig der Ansicht, dass Corey Latham
den Anschlag auf Hill House nicht begangen hat.
Was soll das mit Schuldgefühlen zu tun haben?«
»Na ja, lassen wir das«, sagte Judith. »Es ist ohnehin zu spät. Und, habt ihr eure Geschworenen
bald beisammen?«
»Ich denke schon«, antwortete Dana. Und, dach-
te sie und lächelte in sich hinein, Judith würde
auch bald ihre Galerie bekommen.
Das Gebäude, von dem Sam ihr erzählt hatte,
würde im November frei werden. Die alte Frau,
der es gehörte, war gestorben, und die Erben
warteten nur noch darauf, dass ihr Testament
bestätigt wurde. Sam hatte schon mit ihnen ge-
sprochen und eine erste Preisabsprache getrof-
fen. Dana wünschte, sie könnte Judith jetzt sofort davon erzählen, aber sie wollte es nicht tun, falls doch noch etwas schief lief. Nein, sie würde warten, bis der Vertrag unterzeichnet war. Dann
würden Sam und sie es Judith sagen, und sie
wanden gemeinsam feiern. Im November hatte
Judith Geburtstag. Das würde ein tolles Geschenk
für sie werden.
Ende August erschien in der Sonntagsausgabe
der Seattle Times eine Titelgeschichte über Corey Lathams Verteidigerin. Die Überschrift lautete
»Wer ist eigentlich Dana McAuliffe?«, und der
Journalist war niemals auch nur ins Innere der
Kanzlei oder des Hauses von Dana an der 28th
Avenue in Magnolia gelangt.
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»Deine Viertelstunde Ruhm«, sagte Sam zu Da-
na, als sie am Sonntagnachmittag lesend vor
dem Kaminfeuer lümmelten. »O toll«, sagte Dana
gleichgültig.
»Kurz vor Eröffnung eines der Aufsehen erre-
gendsten Prozesse in der Geschichte der ameri-
kanischen Justiz«, begann der Artikel, »wissen
wir noch immer so gut wie nichts über die Anwäl-
tin, die den des Anschlags auf Hill House ver-
dächtigten Angeklagten verteidigen wird. Denn
Dana McAuliffe legt großen Wert auf ihre Privat-
sphäre.« Dann wurden die Informationen über
ihre Herkunft, ihre Ausbildung, ihre berufliche
Vergangenheit aufgeführt, zu denen jedermann
Zugang hatte, und mit den wenigen allgemein
bekannten Fakten über ihr Privatleben aufgefüllt.
Mehr hatte der Journalist nicht zu bieten. »Nach
so vielen Fakten und so vielen Wörtern«, endete
der Text, »bleibt die Frage: Wissen wir nun wirk-
lich mehr über Dana McAuliffe als zu Anfang? Und
sonderbarerweise muss man diese Frage wohl mit
Nein beantworten.«
»Würde das denn so schlimm sein, mal mit ein
paar von den Presseleuten zu reden?«, fragte
Sam. »Ich könnte mir denken, dass ein bisschen
Publicity nützlich sein könnte.«
»Es geht nicht um mich bei diesem Fall«, erwi-
derte Dana. »Es geht um ein verheerendes Ereig-
nis, das noch Jahrzehnte nachwirken wird, und
um einen Mann, der fälschlicherweise damit in
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Verbindung gebracht wird. Ich will, dass da nichts durcheinander gerät.«
»Vielleicht solltest du das einfach mal öffentlich formulieren.«
Dana zuckte die Achseln. »Ich möchte mich lieber
im Gerichtssaal äußern«, entgegnete sie.
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Um vier Uhr nachmittags war die Auswahl der
Geschworenen abgeschlossen. Man hatte zwölf
Personen gefunden, die offiziell eingesetzt wur-
den, sowie weitere vier, die als Ersatz einsprin-
gen konnten.
Abraham Bendali setzte den Termin für die Eröff-
nungsplädoyers auf den Tag nach Labor Day fest
und verschwand dann umgehend
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