Mein Wille geschehe
seiner Stelle am
Prozess teilnehmen zu können. »Doch, sicher«,
antwortete Allison ihrer Tochter. Sie hatte mit
den Anwälten gespielt, hatte sich auf eine Grat-
wanderung begeben und beide so weit herausge-
fordert, dass sie damit gerechnet hatte, von ei-
nem abgelehnt zu werden. Sie verstand auch
nicht, warum das nicht geschehen war, und noch
weniger verstand sie, warum sie sich darüber nun
auch noch freute. »Aber ich wollte mich gar nicht wirklich drücken.«
Ihren gegenteiligen Äußerungen zum Trotz be-
gann sich Allison nun zu fragen, ob sie tatsächlich ein persönliches Anliegen damit verband. War es
für sie eine Art sportlicher Ehrgeiz, bei diesem
Prozess Geschworene zu sein, oder sah sie darin
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wirklich eher eine Möglichkeit, ihre persönlichen Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen, wie
die Verteidigerin es vermutet hatte? Allison woll-te, dass die Unterdrückung von Frauen ein Ende
fand. Und was konnte es da für eine bessere Ge-
legenheit geben, um der Welt mitzuteilen, dass
es keine Gnade gab für jemanden, der Kliniken
wie Hill House in die Luft jagte? Selbst wenn da-
bei ein hübscher ordentlicher Leutnant der Marine zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.
In dem Interview in 20/20 hatten Dean und Barbara Latham ihren Sohn natürlich als Ausbund an
Tugend hingestellt. Allison hatte sich das Inter-
view ganz angesehen. Ihnen zufolge war der Bur-
sche der Stolz von ganz Iowa, ein ehrenhafter
junger Mann, der Leben und Freiheit achtete, an
christliche Werte glaubte und nie und nimmer
dieses abscheuliche Verbrechen begangen haben
konnte, dessen er nun auf Grund eines verhee-
renden Irrtums angeklagt war. Aber was konnte
man von Eltern schon anderes erwarten? Die
Krimiautorin schuf seit zwanzig Jahren diaboli-
sche Figuren, und sie hatte gelernt, nie den Äu-
ßerlichkeiten zu vertrauen.
Der Geschworene Nummer 103 war geradezu
außer sich vor Begeisterung. Er hatte gehofft, am Hill-House-Prozess teilnehmen zu können, aber
nicht wirklich damit gerechnet. Das Einzige, was
Stuart Dünn aufrichtig bedauerte, war die Tatsa-
che, dass das neue Schuljahr noch nicht begon-
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nen hatte und er seinen Schülern nicht davon
erzählen konnte. Wenn die Schule wieder anfing,
würde ein Vertreter für ihn einspringen, und es
würde Monate dauern, bis Stuart seinen Schülern
von seinen Erlebnissen berichten konnte.
»Es wird ein Aufsehen erregender Prozess wer-
den«, sagte Rose Gregorys Enkelin zu ihrer
Großmutter. »Die Medien sind ganz scharf darauf.
Es wird Proteste und Demonstrationen geben,
und alle möglichen Irren werden auftauchen. Bist
du sicher, dass du dir so einen Stress in deinem
Alter noch antun willst?«
»Ich habe nicht darum gebeten«, gab die Ge-
schworene Nummer 68 in entschiedenem ronlall
zur Antwort, der keinen Widerspruch duldete.
»Aber ich bin einbestellt worden, und ich wurde
eingesetzt, und ich werde meine Pflicht tun.«
John Quinn war gelassen. »In den nächsten Mo-
naten hätte es eh keine Aufträge gegeben«, sag-
te er zu seiner Frau. »Wir haben immer ein ruhi-
ges Leben geführt«, erwiderte sie. »Ich habe ir-
gendwie Angst, dass dieser ganze Medienauf-
marsch nicht gut für die Kinder ist.«
Der Geschworene Nummer 116 zuckte die Ach-
seln. »Wir halten sie raus, soweit es geht«, sagte er. »Und vielleicht bringt es auch Vorteile, weißt du. Könnte ja sein, dass geschäftlich was dabei
rausspringt.«
Trotz der Berühmtheit, die man als Geschworene
beim Hill-House-Prozess erlangte, war Karleen
301
McKay nicht gerade froh, dass man sie ausge-
wählt hatte.
Sie würde viel Zeit verlieren und überdies drei
Kunden, für die sie schon seit einiger Zeit arbeitete, an einen anderen Makler verweisen müssen.
Diese Aufträge splitten zu müssen wirkte sich
höchst unvorteilhaft auf ihr Einkommen aus, und
daran konnten auch die zehn Dollar pro Tag, die
der Staat Washington den Geschworenen als
Ausgleich bezahlte, nichts ändern.
Statt sich eine schöne Kurzreise in wärmere Ge-
filde zu gönnen, verbrachte die Geschworene
Nummer 14 das Labor-Day-Wochenende in ihrem
Büro, wo sie einen Vertreter einarbeitete.
»Behaupte bloß nicht mehr, du kriegst nie was
Erfreuliches von mir zu hören«, sagte der Assis-
tent der Vorsitzenden von FOCUS, Priscilla Wales, als er in ihr Büro platzte. »Was ist?«, fragte Priscilla.
Ein breites Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Assistenten aus. »Zu den
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