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Mein wirst du bleiben /

Mein wirst du bleiben /

Titel: Mein wirst du bleiben / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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Sie waren die Einzigen im Team, die sich siezten. Weshalb, wusste er nicht. Doch er wünschte, auch er hätte diese formale Distanz zu Larsson gewahrt und nicht vor Jahren schon in das allgemeine Duzen eingestimmt. Jetzt musste er sich oft zurücknehmen – denn ein »Du arroganter Sack« ging deutlich schneller über die Lippen als ein »Sie arroganter Sack«. Und beleidigend wollte er nicht werden. Zumindest nicht hörbar für andere.
    »Die Nase ist äußerlich und innerlich unverletzt«, sprach Larsson weiter. »Wir haben innere Einblutungen im Wangengewebe und Hüftbereich gefunden. Die gibt es, wie ihr wisst, nur prämortal.« Er warf Lorena einen spöttischen Seitenblick zu, als wolle er prüfen, ob sie wenigstens dieses triviale Fremdwort kannte. »Die Hauteinblutungen im Gesicht haben die Form eines Schuhs. Sie wurde also vor Todeseintritt mit Füßen traktiert. Cum grano salis.«
    »Mit einem Korn Salz? Einem Körnchen Wahrheit? Du bist also nicht ganz sicher?« Freitag legte die Fingerspitzen aneinander.
    »Bin ich Gott?« Larsson hob die Arme.
    Nein, dachte Ehrlinspiel. Aber du hättest dich bestimmt um den Posten beworben, wenn er frei gewesen wäre. Er rieb sich den verspannten Nacken. Mehr als vier Stunden hatte er im Keller des Instituts für Rechtsmedizin gestanden, Felber und Larsson beim Entkleiden der Toten zugesehen und beobachtet, wie sie Gesicht, Augen, Nase und Mund abtasteten. Er hatte das Knirschen der gebrochenen Knochen gehört und gesehen, wie Arme, Hände, Brust und Rücken Zentimeter für Zentimeter unter Speziallampen abgesucht, fotografiert und wie Haut- und Fremdpartikel asserviert worden waren. Als Lukas gegangen war, hatte er einmal mehr das Kreischen der Schädelsäge und Krachen der Rippen unter den riesigen Spezialscheren auszublenden versucht. Die leisen, sachlichen Gespräche zwischen dem Präparator und den beiden Ärzten hatte er nur am Rande wahrgenommen und sich Gedanken über den oder die Täter gemacht. Eine 87-jährige Frau zu Boden stoßen und brutal treten – so etwas war eher für Jugendgangs typisch, die in der Gruppe stark waren. Deren Leben zwischen anonymer Kindheit im Wohnblock, Hartz- IV -Alltag und einer Zukunft ohne Bildungs- und Job-Perspektive in verzweifelte Aggression münden konnte. Happy Slapping. Diebstahl wegen ein paar Münzen für Kippen. Oder für »Mafiatorte«, wie ihm ein schlaksiger Jugendlicher neulich grinsend ins Gesicht gesagt und dabei einen Pizzakarton geschwenkt hatte. Gewalt aus Langeweile. Aber hier?
    »Gibt es verwertbare Abdrücke von den Schuhen?«, fragte Jagusch den Rechtsmediziner.
    »Nein«, warf Lukas Felber ein, und Larsson schnaubte hörbar.
    »Es ist aber eindeutig ein Tötungsdelikt«, schloss Ehrlinspiel, »wie Lukas es am Fundort schon vermutet hat. Wenn ich es richtig verstehe, deuten neben Lage und Blutspuren vor allem die Hauteinrisse hinter dem Ohr und die Brüche des Mittelgesichts darauf hin.« Er lächelte Larsson an. »Richtig?«
    »Gut aufgepasst, Moritz.« Larsson schob ein paar Papiere zusammen, die vor ihm lagen. »Sie starb wohl wenige Minuten nach dem Sturz. Cum grano salis.« Er betonte jede Silbe. »Todesursache im medizinischen Sinne sind die Schädelverletzungen mit Blutaspiration.«
    Ehrlinspiel dachte an den Körper auf dem Stahltisch, der wie helles Leder unter dem Neonlicht geleuchtet hatte und dessen geöffneter Brustkorb zur Seite geklappt gewesen war. Er dachte an die geblähte Lunge, auf die Larsson getippt hatte, und an die schimmernden blauroten Flecke darauf: »Da haben wir’s. Aspirationsinseln. Das Blut wurde in die Bronchien gesaugt. Daran ist sie erstickt. Typisch für Schädelbrüche. Findest du auch bei Stichverletzungen im Hals, Moritz. Oder bei Aneurysmen, die in die Luftröhre brechen.«
    »Haben Sie irgendeine Vorstellung«, fragte die Oberstaatsanwältin Larsson, »welche Täterpsyche – vorausgesetzt, es handelt sich um denselben Täter – dahinterstecken könnte?«
    »Frau Stein«, sagte er mit einem gedehnten Seufzen und zupfte einen nicht vorhandenen Fussel von seinem schwarzen Hemdsärmel, »ich bin Rechtsmediziner. Spekulationen über die Täterpsyche wage ich mir nicht zu erlauben. Das ist allenfalls Sache der Operativen Fallanalyse. Aber die« – er blickte in die Runde – »gibt es in unserem beschaulichen Freiburg ja nicht. Präsentieren Sie mir einen Schuh, mit dem die Dame eventuell getreten wurde. Oder eine verdächtige Person. Dann kann ich sagen: könnte

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