Mein wirst du sein
ich mir vorstellte, wie Frau Beierlein auf diese Frage reagiert haben mochte.
»Manche Menschen mögen das aber nicht. Und ich möchte hier eine Weile wohnen bleiben.«
Unwillkürlich streckte ich ihr die Hand entgegen.
»Ich bin Jule. Willkommen in unserer kleinen Wohngemeinschaft.«
»Äh, Barbara«, sagte sie und schüttelte meine Hand. »Leon, jetzt komm aber wieder rein und lass Jule in Ruhe, okay?«
Ich nickte und verabschiedete mich.
»Sie ist Privatdetektivin«, hörte ich Leon sagen.
»Ja klar, und ich bin Lady Gaga.«
»Und sie hat einen komischen Namen, finde ich.«
»Das hast du ihr aber hoffentlich nicht gesagt.«
Hatte er. Doch seine Antwort bekam ich nicht mehr mit, Barbara hatte die Tür geschlossen.
Heute Morgen war ein großer Artikel über das Auffinden der Leiche in der Zeitung erschienen. Jens Krüger hatte ganze Arbeit geleistet und einen informativen, wenig reißerischen aber doch an das Mitgefühl appellierenden Bericht über das Opfer verfasst und stieg damit in meiner Achtung. So zu schreiben, war eine Kunst. Die Gratwanderung zwischen ernstem Journalismus und reiner Effekthascherei hatte er mit Bravour gemeistert.
Darüber dachte ich nach, als ich über den Münsterplatz in Richtung der Eisdiele am Rathaus ging. Die Donau mit ihren breiten Fußwegen war nur einen Steinwurf weit entfernt, und auch die Stadtmauer oder die Altstadt luden zum Bummeln und sich Treibenlassen ein.
Für meine Verhältnisse hatte ich mich ordentlich zurechtgemacht. Ich trug ein schwarzes, enganliegendes T-Shirt und meine besten Jeans. Sie kaschierten meinen etwas zu groß geratenen Hintern, und ich fühlte mich nicht übermäßig zur Schau gestellt.
Mein Haar hatte ich in einen kleinen Pferdeschwanz gepresst. Einige Locken hielten sich nicht an die von mir vorgegebene Ordnung und hatten sich widerspenstig selbstständig gemacht. Sie kringelten sich im Nacken und über dem Ohr, aber daran ließ sich nichts ändern, und mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt.
Schnell überquerte ich die Straße und sah mich suchend auf dem Rathausplatz um. Jens Krüger lehnte lässig am Brunnen. Mir fiel wieder auf, wie groß er war. Beim Friseur musste er auch gewesen sein, die blonden Locken waren nur noch im Ansatz vorhanden. Er lächelte mich an.
»Hallo«, grüßte er mit tiefer, weicher Stimme. Er trug Jeans, ein T-Shirt und hatte eine Lederjacke bei sich. »Ist es okay, wenn ich du sage?« Er grinste und zwinkerte mir zu.
Sollte mir recht sein. Immerhin waren wir in etwa gleich alt.
Wir reihten uns hinter einer Mutter mit einem kleinen Mädchen in die Schlange vor der Eisdiele ein und warteten.
Wenig später bummelten wir in Richtung Donau und unterhielten uns über Belanglosigkeiten. Langsam begann ich, mich zu entspannen, der Fall rückte vorübergehend in den Hintergrund. Vergessen konnte ich ihn nicht.
Jens brachte mich zum Lachen, und ich genoss es. Ich hatte den Eindruck, dass er sich selbst nicht ganz ernst nahm, eine ausgesprochene Frohnatur war, und diesen positiven Einfluss gab er an seine Umgebung weiter.
»Erzähl mal, Frau Privatdetektivin, was machst du so?«, wollte er wissen.
»Beruflich oder privat?«, fragte ich, angesteckt von seinem Herumgealbere, zurück und genoss mein Eis.
»Beides.«
»Was ich beruflich mache, weißt du ja.«
»Ja schon. Aber mich interessiert, was dahinter steckt. Ich habe noch nie einen Privatdetektiv kennengelernt. Schon gar keine Frau. Wollen wir uns setzen?«, fragte Jens und deutete auf eine Bank mit Blick auf die Donau und das gegenüberliegende Neu-Ulmer Ufer. Auf der anderen Seite stand ein großer Bagger und schaufelte Unmengen Kies aus dem träge dahinfließenden Fluss.
Ich nickte.
»Du brauchst keine Angst zu haben. Nichts von dem, was du mir erzählst, steht morgen in der Zeitung.«
»Na, bei euch Schreiberlingen weiß man das nie so genau«, konterte ich.
»Ernsthaft. Wie wird man Privatdetektiv?«
Ich überlegte einen Moment, leckte noch einmal an meinem Eis und sah dem Bagger zu, der mit weit ausgestrecktem Arm Kies ans Ufer hob.
»Der Beruf hat mich gefunden, würde ich sagen. Nicht ich ihn.«
Ich wollte nicht zu viel erzählen. Dafür kannte ich Jens weder lang noch gut genug. Und die Vergangenheit hatte mich gelehrt, nicht zu schnell einem Menschen zu vertrauen.
»Und dann hast du Fälle wie den Mord?«
Ich war froh, dass er nicht im Detail wissen wollte, wie sich mein beruflicher Weg entwickelt hatte.
»Du hättest mir übrigens
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