Mein wunderbarer Brautsalon
schon fast wieder aus der Tür, als ich sie zurückhalte.
»Aber möchten Sie es denn nicht einmal anprobieren? So ein Kleid wirkt doch erst, wenn man es trägt.« Sie zögert einen Moment und kaut dabei auf ihrer Unterlippe herum. Irgendwie scheint sie nervös zu sein. Das ist normal, alle Bräute sind nervös – aber die hier scheint irgendwie … anders zu sein.
»Sicher«, sagt sie dann, kommt zurück in den Laden und schließt die Tür hinter sich. »Ich ziehe es gern mal an!«
Annika
Was ist schon groß dabei? Probiere ich halt ein Brautkleid an, ist ja kein schweres Verbrechen, auch wenn ich selbst gar nicht heirate … Na, egal. Noch dazu haben Kiki und ich etwa die gleiche Figur. Zwar in unterschiedlichen Größen, weil ich Kiki ein paar Zentimeter überrage und daher auch nicht so zierlich bin wie sie, aber die Proportionen sind ähnlich. Wahrscheinlich kann ich durch eine Anprobe wirklich viel besser beurteilen, ob das Kleid etwas für meine Schwester ist oder nicht. Und außerdem. Außerdem … Ach Gott, wem will ich hier was vormachen? Ja, ich würde einfach gern mal wissen, wie ich in einem weißen Hochzeitskleid aussehe. Nur so aus Interesse, quasi aus Recherchegründen, vielleicht kann ich irgendwann eine Geschichte daraus machen. Mein erstes Brautkleid oder so, was weiß ich.
»Dann gehen Sie doch schon einmal in die Umkleide«, fordert mich der Verkäufer auf und schiebt den Vorhang einer leeren Kabine beiseite. »Und bitte dabei nicht mit Ihren Schuhen auf die Plastikunterlage in und vor der Kabine treten, die muss wegen der weißen Kleider sauber bleiben.« Vorsichtig laviere ich mich an der Unterlage vorbei und nehme auf der Bank im Innern Platz. »Ich hole ein Modell aus dem Lager«, fährt der Mann fort, »eine meiner Damen wird sich dann sofort um Sie kümmern.«
So, wie er »meine Damen« sagt, lässt er keinen Zweifel daran, dass er hier der Chef, demnach also Herr Hübner ist. Schon komisch. Ein Kerl mit Brautsalon – Sachen gibt’s! Wahrscheinlich ist er schwul, denke ich. Das würde auch erklären, warum er so gut aussieht: Die tiefschwarzen, leicht gewellten Haare im akkuraten Kurzhaarschnitt, ordentlich mit etwas Gel nach hinten gelegt, bilden einen interessanten Kontrast zu seinen hellblauen Augen (Kontaktlinsen? Haare gefärbt?). Dazu eine elegante Stoffhose und blitzblanke Schuhe von Lloyd, unter seinem dunkelblauen Pullover lugt ein weißes Hemd hervor, der Kragen gebügelt und gestärkt. Eindeutig schwul. Oder eindeutig verheiratet, dann gehört der Salon wahrscheinlich seiner Frau.
»Äh …«, unterbreche ich meine eigenen Gedanken. »Ich trage Größe …« »Ich weiß schon, welche Größe«, werde ich augenzwinkernd von ihm unterbrochen. »Ich mache das ja jeden Tag.« Bevor er sich umdreht und Richtung Lager davongeht, erhasche ich noch einen schnellen Blick auf seine Hände. Schmal und gepflegt, mit langen Fingern – und ohne Ring. Also doch schwul.
»Gut«, erwidere ich, »dann warte ich hier.«
»Ich bin auch gleich da und helfe Ihnen«, sagt die ältere Frau in meine Richtung, die gerade mit einer Kundin zur Kasse geht. Sie hat die gleichen blauen Augen wie der junge Mann. Ob ihre Haare einmal schwarz waren, lässt sich nicht mehr sagen, aber ich könnte es mir vorstellen. Familienähnlichkeit?
Ich beuge mich vorsichtig auf meiner Bank vor (nur nicht die Plastikunterlage berühren!) und ziehe den Vorhang zu. Was machst du eigentlich hier?, frage ich mich. Am besten sollte ich den beiden gleich erklärten, dass das Kleid gar nicht für mich sein soll, sondern für meine Schwester. Andererseits, wozu Verwirrung stiften? Ich ziehe das Ding einfach mal an und gut, dafür muss ich hier nicht gleich meine ganze Lebensgeschichte ausbreiten.
Eine Sekunde später wird der Vorhang ein Stück beiseite geschoben und mich lächelt das freundliche Gesicht der älteren Dame an.
»Ihre Kleidung müssen Sie aber schon ausziehen«, erklärt sie mir. Ich springe auf und trete dabei beinahe auf die Unterlage. Im letzten Moment gelingt es mir, meine Balance wiederzufinden und mich auf das schmale Teppichstück vor der Bank zu retten.
»Ja, natürlich.« Ich wurschtele mich aus dem Mantel, streife meinen dicken Pulli über den Kopf, ziehe die Schuhe aus, stelle sie vorsichtig an den Rand der Kabine und schäle mich zum Schluss aus meiner Jeans.
»Wann ist es denn soweit?«, will die ältere Frau wissen, nachdem sie mit einem Monstrum aus Tüll in der einen und einem Bügel
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