Mein wunderbarer Brautsalon
wegzukommen. Fehlte noch, dass Christoph Hübner gleich herauskommt und meine Unterhaltung mit Paul mitbekommt. »Du weißt doch, sie heiratet im Mai und hat sich dieses Kleid ausgesucht.«
»Verstehe«, meint Paul und heftet sich an meine Fersen. »Du hast es also für sie abgeholt.«
»Richtig.« Ich nicke. »Es ist einfach noch so viel zu tun, dass Kiki einige Dinge an mich delegiert.«
»Aha.« Er mustert mich von der Seite, und ein breites Grinsen tritt auf sein Gesicht. Möchte mal wissen, was so komisch ist. »Nett von dir, dass du ihr dabei hilfst.«
Ich habe keine Ahnung, worauf Paul hinauswill, deshalb nicke ich einfach nur und mache »hm«. »Aber trotzdem frage ich mich«, fährt er fort und bleibt stehen, »weshalb du das Kleid dafür auch anziehen musstest.«
Mist! Er hat mich durchs Schaufenster gesehen. Wie lange er da wohl gestanden und die Szene amüsiert beobachtet hat? Wie peinlich!
»Äh, weißt du, Kiki und ich haben in etwa die gleiche Figur«, winde ich mich, »und sie war sich noch nicht sicher …«
»Kiki ist viel kleiner als du«, stellt Paul fest. Stimmt, er kennt meine Schwester ja.
»Ja, aber von den Proportionen her«, setze ich an.
»Annika«, Paul legt einen Arm um mich und drückt mich kurz an sich. »Wir arbeiten jetzt schon so lange zusammen, und du bist meine absolute Lieblingskollegin. Warum erzählst du mir nicht einfach die Wahrheit?«
Christoph
Natürlich gucke ich ihr doch nach. Nachdem Oma im Lager verschwunden ist, gehe ich noch einmal zur Tür und schaue hinaus. Sie ist noch da, steht mit einem Typen ein paar Meter vom Geschäft entfernt und unterhält sich. Dann gehen die zwei ein paar Schritte, bleiben wieder stehen, und der Mann legt einen Arm um sie. Bei dem Anblick regt sich eine irrationale Eifersucht in mir – das ist er also. Der Glückliche, den diese wunderbare Frau heiraten wird. Das will ich mir nicht länger ansehen, also wende ich mich ab und gehe in den ersten Stock hoch.
»Ich bin im Büro«, rufe ich meiner Oma zu, die hinten im Lager ist.
»In Ordnung«, kommt es gedämpft zurück.
Oben angelangt schließe ich die Tür hinter mir, setze mich an meinen Schreibtisch und starre eine Weile unschlüssig auf das Polaroid, das ich von ihr gemacht habe. Seufzend lege ich es in die oberste Schreibtischschublade, greife hinter mir ins Regal, nehme die Flasche irischen Whiskey und ein Glas herunter, und schenke mir einen Schluck ein. Ich trinke nicht sehr oft harte Sachen, aber gerade ist mir danach. Danach, mir den Kopf, das Herz und den Bauch ordentlich durchzuspülen. Ich schließe die Augen und lehne mich zurück, sofort erscheint mir Annikas Bild, dafür brauche ich noch nicht einmal das Foto. Wie sie in dem Kleid vor dem Spiegel steht und weint, wie sie mich beim Abschied angelächelt hat. Ich hatte schon oft einen Faible für meine Kundinnen, da hat meine Oma recht. Aber diesmal ist es irgendwie anders, bei dieser Frau ist es mehr als nur eine Schwärmerei.
Was hat mich an ihr nur so fasziniert? Ich kenne sie überhaupt nicht, kann also nicht wissen, ob sie wirklich so toll ist, wie ich gerade glaube. Aber irgendetwas in mir ist davon überzeugt, auch wenn es vollkommen übergeschnappt klingt. Seelenverwandtschaft? Liebe auf den ersten Blick? Hätte ich bis vor einer Stunde noch alles für großen Schwachsinn gehalten. Aber jetzt gerade bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich öffne die Augen, und stehe auf. Dann nehme ich meine Jacke vom Garderobenständer, schalte das Licht aus und verlasse das Büro. Für heute ist es besser, wenn ich nach Hause fahre.
Unten gehe ich ins Lager und frage meine Großmutter, ob sie die letzte halbe Stunde allein im Laden bleiben kann. Sie bejaht, also mache ich mich auf den Heimweg. Während ich über die Lombardsbrücke fahre und den erleuchteten Jungfernstieg zu meiner Linken betrachte, frage ich mich, wie groß wohl die Chance ist, dass Annika noch einmal in meinen Laden kommt. Nicht sehr groß, muss ich mir selbst eingestehen.
Fünfzehn Minuten später bemerke ich, dass ich überhaupt nicht nach Hause gefahren bin. Statt nach Eimsbüttel hat mich mein Weg nach Eppendorf geführt, wie ferngesteuert bin ich zu der Adresse gefahren, die Annika Peters mir aufgeschrieben hat. Und jetzt sitze ich hier unten in meinem Auto und betrachte das vierstöckige Jugendstilhaus, in dem sie irgendwo wohnen muss. Plötzlich muss ich lachen, ich benehme mich wie ein liebeskranker Teenager! Was bringt es mir, hier
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