Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Adorján
Vom Netzwerk:
zurückliegen, dass das Haus weiß gewesen war, und auch der Zaun hätte einen neuen Anstrich vertragen können. Doch der Name an der Klingel ließ keinen Zweifel zu: Dies war die Adresse, die er gesucht hatte, hier wohnte der große Herrmann Voss, den man »Jahrhundertschauspieler« genannt hatte, lange bevor sich jenes Jahrhundert zu Ende neigte und ein neues anbrach, das ihn dann vollends in Vergessenheit geraten ließ.
    Blacher war nur durch Zufall darauf gestoßen, dass Voss noch lebte. Nachdem sie im Drehbuchseminar einen Film gesehen hatten, in dem er eine Hauptrolle spielte – (übrigens als Negativbeispiel für Dialoge) –, hatte Blacher, stets wissbegierig, im Internet nachgesehen und war über das fehlende Todesdatum gestolpert. Ein paar Anrufe später hatte er nicht nur Gewissheit, sondern sogar eine Telefonnummer, die ihm die ehemalige Sekretärin eines großen Filmstudios mit einem merkwürdigen Auflachen gegeben hatte, und nachdem er es wochenlang immer wieder vergeblich versucht hatte und nicht einmal auf einem Anrufbeantworter gelandet war, hatte er Voss schließlich am Apparat gehabt, ihm in einem sehr knappen Gespräch sein Ansinnen erklären können und die Erlaubnis bekommen, ihm das Drehbuch für seinen Abschlussfilm schicken zu dürfen. Genauer gesagt, hatte Voss nicht Nein gesagt, bevor er einfach aufgelegt hatte. Wieder verstrichen einige Wochen, bis er ihn erneut erreicht und Voss ihm seine Postadresse genannt hatte. Und ein weiteres Telefonat später, das war erst am Vortag gewesen, hatte Voss ihm vorgeschlagen, sich am heutigen Vormittag bei ihm einzufinden. Es hatte geklungen wie ein Befehl.
    Natürlich war Blacher nervös. Er bildete sich ein, mit Herrmann Voss in der Hauptrolle einen Coup landen zu können, vielleicht im Ansatz vergleichbar mit jenem, der Tarantino seinerzeit mit John Travolta geglückt war, natürlich unter ganz anderen Voraussetzungen. Vorhin beim Frühstück hatte Blachers Freundin zum wiederholten Mal darauf hingewiesen, welch unglücksselige Rolle Voss während der Nazizeit gespielt habe, und Blacher hatte sich darauf hinausgeredet, dass ja wohl niemand etwas dafür konnte, wenn Goebbels Gefallen an einem fand. Um einen größeren Streit abzuwenden, hatte er ihr das Versprechen gegeben, Voss bei dem Treffen auf dessen Zusammenarbeit mit dem Propagandaministerium anzusprechen. Dabei beabsichtigte er in Wahrheit keineswegs, dies zu tun. Er war, obwohl im Grunde ein guter Charakter, nicht unwesentlich von seiner eigenen künstlerischen Bedeutung durchdrungen, ein Zug, der erst im Laufe des letzten Studienjahres so richtig Besitz von ihm ergriffen hatte, und ob der fast hundertjährige Herrmann Voss vor siebzig Jahren in mehreren böswillig antisemitischen Propagandafilmen mitgewirkt hatte, wie es aussah sogar, anders als einige andere, ohne Protest, war Blacher offen gestanden vollkommen egal. Hauptsache, er würde einwilligen, in seinem, Blachers Film die Hauptrolle zu übernehmen. Es wäre seine erste Filmrolle seit nunmehr drei Jahrzehnten und, vieles sprach dafür, wohl auch seine letzte. Genial.
    Bevor Blacher den Klingelknopf betätigte, sah er auf seine Armbanduhr. Er war pünktlich auf die Minute, wollte aber nicht übereifrig erscheinen und hielt es für besser, noch einen Augenblick abzuwarten. Er strich sich das Hemd glatt, das über dem Bauch schnell eine Falte warf. Zog die weit sitzende Cordhose an der Gürtelschnalle etwas nach oben. Schulterte die Tasche neu. Hauchte gegen seine dicht vor den Mund gehaltene Hand. Suchte in seiner Tasche nach einem ei nach eKaugummi, fand aber keinen. Räusperte sich. Fuhr sich durch die dichten Locken, die ihm an diesem Vormittag, frisch gewaschen, noch wirrer vom Kopf abstanden als sonst. Dann fühlte er sich gewappnet.
    Er wollte eben zum zweiten Mal klingeln, als ein Knacken in der Gegensprechanlage ertönte, gefolgt von einem krächzenden »Ja bitte?«. »Ruben Blacher, wir sind verabredet.« Aus der Gegensprechanlage ertönte ein erneutes Knacken, gefolgt von einem weiteren »Ja, bitte?«, das exakt so klang wie das erste. »Hallo?«, sagte Blacher. »Ruben Blacher ist mein Name, wir sind verabredet?« Diesmal hob er am Ende die Stimme, ließ es klingen wie eine Frage. Aus dem kleinen Lautsprecher kam keine Reaktion. Es knackte auch nicht mehr. Es klang, als wäre die Leitung tot. Blacher brachte seinen Mund näher an die Einsprechstelle. »Hallo?« Er bewegte die Hand wieder in Richtung Klingel, zögerte

Weitere Kostenlose Bücher