Meine beste Feindin
irgendwann seinen Reiz, und ich kehrte nach Boston zurück. Ich meinte, ein erleichtertes Seufzen meines Vaters zu hören, als er mich vor meiner Haustür absetzte, aber womöglich bildete ich es mir auch nur ein. Vielleicht hatte er gar nicht mein finsteres Gebaren, sondern vielmehr den Schnee verflucht.
Noch am gleichen Tag holte ich Linus aus der Tierpension ab, und obgleich er sich riesig freute, mich wiederzusehen - was er durch stürmische, feuchte Küsse und lautes Gebell zum Ausdruck brachte -, wirkte mein Apartment noch einsamer als vorher. Ich schob den Seesack ins Schlafzimmer und warf dann einen Blick auf genau die gleichen Dinge, die mich schon in den letzten zehn Jahren begleitet hatten. Dann hockte ich ziemlich lange auf dem Sofa und starrte die Poster an der Wand an, und schließlich beschloss ich, einfach so, dass ich die Nase voll hatte.
Solange ich nicht beabsichtigte umzuziehen, und das war in absehbarer Zukunft nicht der Fall, war es an der Zeit, mit dem Jammern aufzuhören und endlich etwas zu tun, um mich selbst zu verwirklichen.
Ich packte nicht mal meine Tasche aus, sondern legte direkt mit dem umfangreichsten Frühjahrsputz los, den meine Wohnung je erlebt hatte. Ich riss alle Poster von den Wänden, sortierte alle Bücher und stopfte alles, was irgendwie ans College erinnerte und was ich seit Jahren nicht mehr in die Hand genommen hatte oder was lächerlich und irgendwie peinlich war, in Müllbeutel, die sich vor meiner Wohnungstür stapelten.
Es war hart, und ich stand vor einigen schweren Entscheidungen. In den Tiefen meines Schrankes fand ich zum Beispiel das überdimensionale Flanellhemd, das mir ein Post-Grunge-Jünger vermachte hatte, auf den ich im College stand. Gleich daneben stieß ich auf eine verstaubte braune Tüte mit meinen Mixtapes aus der Highschool. Die Kassetten waren so alt, dass man die Beschriftung nicht mehr lesen konnte. Sowohl das Hemd als auch die Kassetten wanderten in eine Mülltüte, aber es schmerzte mich mehr, als ich zugeben wollte.
Am zweiten Tag meines Rundumschlags zog ich los, um richtige Regale zu kaufen, die ich anstelle der bunt zusammengewürfelten Bücherborde aufhängen wollte, die sich im Laufe der Jahre bei mir eingefunden hatten. Am späten Nachmittag klopfte es plötzlich an meiner Tür.
Mein Herz begann ein wenig zu rasen, aber ich hatte mich bald wieder im Griff, was auch gut so war, denn vor der Tür stand Erwin.
»Oh«, sagte ich und blinzelte. Zum einen, weil ich etwas verwirrt war, und zum anderen, weil sein Markenzeichen, der blaue Bademantel, fehlte. Stattdessen trug er, vermutlich anlässlich der Festtage, ein Sweatshirt mit Applikationen und eine Jeans mit Gummizug. »Ich bin bestimmt furchtbar laut. Tut mir leid.«
»Nein, nein«, sagte er und blinzelte jetzt seinerseits mich und das wohl nur allzu deutliche Chaos hinter mir an. »Ziehen Sie aus?«
Er zeigte seine vermutliche Begeisterung angesichts dieser Vorstellung nicht, was es mir leicht machte, höflich zu sein.
»Ich miste nur das ganze Zeug aus College-Zeiten aus«, sagte ich, ohne in Betracht zu ziehen, dass er diesen Prozess vielleicht nicht ganz so faszinierend fand wie ich. »Wobei das so ziemlich mein ganzes Apartment und alles, was ich besitze, mit einschließt. Ich muss nur irgendwie die alten Möbel rausschaffen und die neuen Regale anbringen, und dann bin ich auch schon fertig. Es tut mir leid, ich sollte abends wirklich nicht mehr so viel Lärm machen.«
Erwin stand da, und der siebenarmige Leuchter auf seinem blauen Pullover schimmerte geradezu im dunklen Flur. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Dann öffnete er ihn erneut und verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Ich dachte schon, das würde bis in alle Ewigkeit so gehen, als er es endlich ausspuckte.
»Und wenn ich helfen würde?«, fragte er und wurde dann puterrot.
Er wurde nicht ein bisschen rot . Er wurde rot wie eine Tomate . Es war geradezu unheimlich.
Die alte Gus hätte »auf keinen Fall« gebrüllt, ihm die Tür vor der Nase zugeknallt und sich später mit ihren Freundinnen über ihn lustig gemacht.
Die neue Gus entschied, dass er eben einfach ein guter Nachbar sein wollte oder vielleicht sogar nur freundlich. Wenn man von dem ausging, was bisher zwischen uns gelaufen war, dann hatte er wohl nicht besonders viel Kontakt zu anderen Menschen, und wenn ich seine lebhafte Gesichtsfarbe als weiteren Hinweis sah, hatte ihn das Angebot offensichtlich Überwindung
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