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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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einmal eine Geschichte schreiben, in der er alles schildert, was passiert ist, und er wird auch uns darin erwähnen. Und am Schluss der Geschichte wird er schreiben, dass er sich uns ausgedacht hat – was das Beste sein wird, für ihn, für uns und für die Geschichte.«
    Die drei kleinen Hexen nickten einmütig. Sie waren sehr alt und sehr weise und wussten natürlich, was am besten war.

K ÄSTCHEN
    Meine Cousine Emilia war verrückt nach Kästchen. Sie hatte welche aus allen möglichen Materialien: aus Silber, aus Perlmutt, aus Schildkrötenpanzer, aus Email, aus Bein, aus Corduanleder; einige stammten aus Indien (aus duftendem Sandelholz), andere aus Japan (auf dunklem Lack waren Kirschblüten gemalt) und aus Russland (aus dem Dorf Palech, mit einem Bild vom Feuervogel und der Zarentochter auf dem Deckel). Einige waren aus Stroh geflochten, andere aus Metall gefertigt, mit Einprägungen aus schwarzer Silberschlacke: eine alte Goldschmiedetechnik namens »Niello«, die vor langer Zeit aus dem Kaukasus eingeführt worden war. Einige waren aus zartem Wiener Porzellan und hatten eine bauchige Form, andere – aus Venedig – hatten Deckel aus feinem Glasmosaik. Es gab welche mit separaten Schublädchen und welche, die sich nur öffnen ließen, wenn man den Dreh kannte. Emilia füllte sie mit kleinen Feuersteinen, mit Glasperlen, mit Knöpfen und echten Perlen, mit einer zu einem Ring gedrehten Geigensaite, mit getrockneten Insekten, mit Locken ihres eigenen Haars, mit Bonbons, winzigen Muscheln, ausländischen Münzen, unbearbeiteten Bernsteinstückchen, Blumensamen, abgelutschten Kirschkernenund Murmeln, mit allerlei Krimskrams. Sie liebte es, in ein größeres Kästchen ein kleineres zu stellen, in dieses dann ein noch kleineres, und in das wiederum ein noch kleineres … Zu guter Letzt band sie das Ganze mit einem rosa Schleifchen zusammen.
    »Ich habe geträumt«, pflegte sie dabei zu erzählen, »wie ich in einem riesigen leeren Saal sitze …« Alle ihre Träume spielten sich in leeren Sälen ab. Von dort aus drang sie in schmale Korridore vor, öffnete die Türen zu immer kleineren und kleineren Zimmern, verirrte sich im Inneren irgendeines komplizierten Gebäudes, das sie tiefer und tiefer in seine dunkle und bedrohliche Mitte zog. Aber sie kam nie dort an. Bevor sie die Schwelle des letzten Zimmers auch nur betreten konnte, schaffte sie es jedes Mal, in den Wachzustand zurückzukehren. »Und dann bin ich aufgewacht«, schloss sie stets ihre Geschichten.
    Jener Winter war von den Träumen meiner Cousine Emilia erfüllt. Sie erzählte sie mir an den langen Nachmittagen, wenn wir auf der Ottomane neben dem Herd saßen und sich der Duft des Kaffees, den die Tanten tranken, während sie uns Pullover, Schals und Socken für die kommenden langen Winter strickten, in der Küche ausbreitete und den Mittagessensgeruch verdrängte. Draußen dunkelte der farblose, schale Nachmittag. Die Schatten ließen ihn pockennarbig erscheinen wie eine von Geschützfeuer verschandelte Hausfassade, er klumpte wie graues Blut, verlor seine Konturen wie eine Vorortkatze ihre Kätzchen und ging warm und gleichgültig in die Nacht über.
    Wir beide schauten uns die Briefmarkenalben an, studierten das alte Kochbuch, brachten die Rezepte durcheinanderund dachten uns die unmöglichsten Gerichte aus, blätterten in den Poesiealben unserer Tanten, lasen die Ansichtskarten, die Opa Simon vor langer Zeit von seinen Geschäftsreisen durch die Levante geschickt hatte, ordneten die Familienfotos und versuchten, entfernte Verwandte zu erraten und zuzuordnen. Nebenbei erzählte mir meine Cousine Emilia von ihren Träumen, in wenigen Worten, verstohlen, als wolle sie nicht dabei ertappt werden. Sie flüsterte, so vorsichtig, als würde sie das Losungswort einer Verschwörung nennen, als verriete sie ein Geheimnis, dessen Offenlegung mit dem Tode bestraft wurde, als wiese sie den Zugang zu einer unterirdischen Welt, die unentdeckt bleiben sollte.
    »Was tuschelt ihr beiden denn da die ganze Zeit?«, fragte Tante Eleonora und löste sich für einen Moment von den Schnittbögen aus alten Frauenzeitschriften, um uns einen musternden Blick zuzuwerfen.
    »Wir fragen uns gegenseitig Physik ab«, antwortete ich, während meine Cousine Emilia einen Augenblick lang innehielt, gerade so lange, bis die Aufmerksamkeit nicht mehr uns galt. Dann fuhr sie mit den rasch aufeinanderfolgenden, fiebrigen Bildern fort, die sie im Traum gesehen hatte.
    Eines Abends, als

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