Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
Vom Netzwerk:
gänzlich schwand, flüsterten sie Unverständliches und verflochten ihre Körper zu Knoten, die das Halbdunkel noch unentwirrbarer machte. Meine Cousine Emilia und ich lehnten uns über die Brüstung und versuchten herauszubekommen, was Wahrheit war und was Täuschung in dem Spiel, das da unten stattfand. Emilia atmete dicht an meinem Ohr tief ein und aus; mirlief ein Schauer den Rücken hinunter. Ich drehte mich zu ihr, um sie zu küssen, und stieß dabei mit dem Ellenbogen gegen ein großes Gipsohr, das auf der niedrigen Vitrine stand: Es schwankte, kippte um, bevor ich es fassen konnte, und fiel auf den Boden, wo es in tausend Teilchen zersprang.
    »Idiot«, zischte Emilia.
    »Da oben ist jemand«, sagte Fatima. Muto richtete sich auf. »Wer ist da oben?«, fragte sie lauter.
    »Jjjjaa«, quetschte Muto mühevoll hervor.
    Wir schwiegen und hielten den Atem an.
    »Geh und sieh nach, wer da ist«, sagte Fatima zu ihm und schubste ihn an.
    »Iiich ggggeh«, sagte Muto drohend. Sein von den Platten des Hertzschen Oszillators angeleuchtetes Gesicht verzog sich zu einer bedrohlichen Grimasse.
    Doch gerade als wir uns schon entdeckt wähnten, öffnete sich die große Tür der Aula und vom Korridor aus drang ein gleißender Lichtkegel ein. Gleich darauf drängte der lärmende Haufen des Lehrerkollegiums durch das Licht, vor dem er sich wie eine Reihe von Scherenschnitten abzeichnete, in den Saal. Es waren unsere altbekannten Lehrer; wir erkannten sie eher an den Stimmen als an ihren Gesichtern. Auf der Suche nach dem Lichtschalter tasteten sie sich durchs Halbdunkel. Als das Licht schließlich anging, standen Fatima und Muto im Kabelgewirr neben den Apparaten und lächelten wie Schuldige, die auf frischer Tat ertappt worden sind.
    Aber kaum jemand beachtete sie. »Ihr habt euch wohl wieder an den Apparaten zu schaffen gemacht«, sagte einer der Lehrer, als er an ihnen vorbeiging. Sie antworteten nicht und rückten voneinander ab.
    Die Lehrer schenkten ihnen weiter keine Beachtung. Sie verteilten sich in der Aula, als suchten sie etwas. Alle waren sie da: Dunaevski, der Mathematiklehrer, ein russischer Emigrant, mit seinem grünen Lodenmantel, den er nie auszog, Argirovski, der Lateinlehrer, genannt »Agricola«, Kacavolu, ein gescheiterter Rechtsanwalt, der Französisch unterrichtete, Serbezovski, ein ehemaliger Kavalleriehauptmann, der nach einem unglücklichen Sturz vom Pferd den Beruf wechseln musste und Kunsterzieher geworden war, Mandžukov, ein langjähriger Medizinstudent, der das Studium abgebrochen hatte und uns in Anatomie unterrichtete, und Kolemiševski, der Erdkundelehrer, der »Maus« genannt wurde, weil er so klein war. Alle trugen Mäntel und hielten Regenschirme in den Händen. Es war offensichtlich, dass sie die jähe Wetteränderung bemerkt hatten.
    »Denken Sie denn, dass es machbar ist, werter Herr Kollege?«, wandte sich Mandžukov an Dunaevski. »Kanjeschno«, sagte dieser, »selbstverständlich, selbstverständlich; ich habe alle Berechnungen mehrfach überprüft.«
    Das waren die einzigen Worte, die in dem Durcheinander deutlich zu verstehen waren. Alle drängten lärmend und einander rempelnd zum Fenster. Der Himmel hinter der Fensterfront war schon ganz schwarz. Dunaevski stieg mit etwas Mühe auf das Fensterbrett. Man hörte seine Gelenke knacken, aber er bewahrte seine würdevolle Haltung.
    »Meine Herren«, sagte er und nahm eine feierliche Pose ein, »meine Herren …«
    In diesem Moment öffnete sich die Tür der Aula erneut. Fatimas Mann, der Pedell Memed, stürzte herein. Es schien, als habe er einen anderen Anblick erwartet: Als er die Lehrerbemerkte, zeigte sich ein verlegenes Lächeln auf seinem Gesicht und er machte eine ungelenke, um Entschuldigung bittende Handbewegung.
    Der Lehrer Dunaevski stand auf dem Fensterbrett und war offensichtlich wütend über die Störung.
    Fatima lief zu Memed, nahm seine Hand und zeigte auf Dunaevski. »Lass nicht zu, dass sie das tun«, rief sie. »Die wollen wieder …«
    »Red keinen Blödsinn«, sagte Memed, der gerade bemerkt hatte, dass sich auch Muto in der Aula befand. »Die Lehrer wissen schon, was sie tun«, fügte er hinzu und stieß Fatima grimmig von sich fort.
    Fatima wandte sich an die Lehrer. »Tut es nicht«, rief sie. »Um Gottes willen, tut es nicht!«
    Memed packte sie am Handgelenk und versuchte, sie zum Schweigen zu bringen, doch sie riss sich los und lief zum Fenster. Mitten im Getümmel hörte man wieder die Stimme Dunaevskis.

Weitere Kostenlose Bücher