Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich - Gesamtedition (German Edition)
über meine bis ins Detail geplante Party.
Ich habe das einmal psychologisch hinterfragt und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich um mein ganz persönliches Kindheitstrauma handelt. Es gibt genügend Mütter die ihre Kinder zweimal die Woche zum Ballettunterricht zwingen, nur weil sie früher zu viele ZDF Weihnachtsserien geschaut haben. Während diese Mütter versuchen aus ihren Töchtern eine zweite Anna zu formen, lasse ich meinen Kindern das zu Teil werden, was mir mein ganzes Leben lang versagt war: Ein anständiger Kindergeburtstag! Ich bin ein Christkind. Und weil Jesus Geburtstag immer schon wichtiger war als der meinige, wurde um meinen Ehrentag nie viel Aufheben gemacht.
Meine Mutter war in der Weihnachtszeit immer furchtbar gestresst. Es gab Heiligmorgen nur einen schnellen Kuchen und ein Minigeschenk. Kindergeburtstag? Pustekuchen.
„Ach, Schatz, Heiligabend kann man doch keine Fete machen. Da feiern alle Kinder mit der Familie“, bekam ich zu hören. Keiner hatte Zeit, keiner dachte an mich. Es gab nicht einmal nachträgliche Gratulationen. Wenn ich nach den Weihnachtsferien wieder in die Schule kam, war der Geburtstag längst verjährt. Und die Weihnachtsgeschenke fielen bei mir auch nicht unbedingt größer aus. Meine Mutter war wohl der Meinung, zu viel Kommerz verderbe den Charakter.
Je älter ich wurde, desto mehr ließ ich meinen Geburtstag unter den Tisch fallen und feierte später auf meine Weise.
„Es ist Heiliger Abend. Ich finde es unmöglich, dass ihr jetzt noch loszieht und euch betrinkt“, hörte ich mir jedes Jahr von meinem Vater aufs Neue an.
„Ich habe Geburtstag. Die anderen warten darauf, dass ich noch einen ausgebe“, erwiderte ich und packte die Flasche Dr. Demuths Erdbeerwein für 1,99 DM aus dem Supermarkt in meinen Rucksack. Der wurde dann schnell noch vor der Tür unserer Stammkneipe gereicht, damit die Sauferei drinnen schneller und billiger vonstattenging. Heute kaufe ich unseren Wein nur noch im Weindepot, natürlich nach ausführlicher Beratung und Kostprobe. Aber wenn man ehrlich ist, hat der Billigfussel damals nicht schlechter geschmeckt.
Linda erscheint als weiße Frau. Entsetzt mustere ich ihr Outfit,- ein weißes, durchsichtiges Nachthemd unter dem sie nur ihre Unterwäsche trägt. Ob ich sie wieder nach Hause schicke, damit sie sich doch in ihr Lackkleid zwängt?
„Du kannst gleich ein paar Fotos von mir machen. Nun guck nicht so. Ich hatte nichts anderes. Du kannst mir ja noch ein paar Bisswunden an den Hals schminken. Dann bin ich dein Opfer.“
„Dir muss doch eiskalt sein. Ich kann dir eine Strickjacke holen“, versuche ich Schadensbegrenzung. Das ist eindeutig schlimmer als das Teufelskostüm.
„Das geht schon. Da muss man durch. Wo ist denn nun das Geburtstagskind?“, flötet sie.
Ich bin heilfroh, dass Bernd auf seinem wichtigen Meeting sitzt und das hier nicht sieht. Ich muss es nehmen wie es ist und drücke Linda die Schüssel mit dem Kartoffelsalat in die Hand.
„Das ist ja appetitlich“, kommentiert sie die blutigen, abgeschnittenen Finger oben drauf. Ich habe Würstchenenden abgerissen, eingeschnitten, mit einer Mandel als Fingernagel dekoriert und die Enden in Ketchup getunkt. Ich finde das wahnsinnig kreativ. An dieser Stelle geht mein Dank an die vielen User bei Netmoms und Chefkoch.de, die diese Party überhaupt erst möglich machen.
Es ist zwei Uhr, ich liege voll im Zeitplan. Dieses Jahr wird nichts dem Zufall überlassen. Ich habe aus meinen Vorjahresfehlern gelernt und ausreichend in diversen Internetforen recherchiert:
Erstens: Bei einem Kindergeburtstag sollte das Wohnzimmer grundsätzlich tabu sein.
Fast dreihundert Euro kostete letztes Jahr die Teppichbodenreinigung. Überall klebten festgetretene Chips und Salzstangenreste. Zwischen den Sofaritzen befanden sich nicht nur angelutschte Pommes, sondern auch klebrige Lollies und jede Menge Schokoladenflecken.
Zweitens: Ein Kindergeburtstag sollte niemals länger als drei Stunden dauern.
Danach versagen die stärksten Nerven. Ich war dämlich genug, den Eltern letztes Jahr einen freien Samstag zu bescheren, indem ich die Kinder für ganze fünf Stunden einlud.
Drittens: Die alte Regel „ein Kind pro Lebensjahr“ sollte unbedingt beachtet werden.
Sara durfte letztes Jahr acht Kinder einladen: Neun Vier- bis Fünfjährige plus eine einjährige kleine Schwester, minus Ehemannhilfe ergaben fünf Stunden blanker
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